Dietrich Eckardt (diteck@t-online.de; www.dietrich-eckardt.com
Die der Inflation und der Deflation zugrunde liegende Preisentwicklung ist polykausal (Otmar Issing, 2011). Alle Faktoren, die das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmen, haben Einfluss auf die Preise. Sie verursachen in unterschiedlichster Weise eine Änderung bei der Zuordnung der Wertmaßeinheiten zum Sachgut. Dabei spielen die Nachfrager den entscheidenden Part.
Geschehen z. B. Preissteigerungen signifikant, flächendeckend und auf Dauer, dann muss es dafür trotz der Vielfalt der Faktoren, die darauf Einfluss haben, ein einheitliches Wirkmoment geben, in das all diese Faktoren einfließen. Viele Ökonomen sehen es in der sich widernatürlich verändernden Geldmenge. Die Sachgüterbewertung und damit die Preise schwankten, so wird gesagt, mit der Menge des auf dem Markt umlaufenden Geldes (schon Argentarius, 1921). Welchen Charakter hat nun die Korrelation, die hier als zugrunde liegend gedacht wird?
Das Geld unserer heutigen Finanzwirtschaft wird aus Krediten geschöpft. Die Kredite machen das Geld, sind gewissermaßen selbst das Geld, aber erst dann, wenn sie – in welcher Form auch immer – vergegenständlicht, gedeckt und numerisch bewertet sind. Die Deckung des Geldes liefern die Tilgungspotentiale der Kreditnehmer. Diese beruhen auf dem Potential, bedarfsgerechte, also marktgängige Güter zu liefern, wozu auch das Geld gehört. Das Tilgungspotential ist also letztlich ein Güterlieferpotential.
Nur durch eine Tilgung mit Geld, das mit einem Gütererzeugungspotential zu verdienen ist, kann das über den Weg eines Darlehens einstmals geschöpfte Geld wieder vernichtet und damit gegenüber der Gütermenge verknappt werden. Das Tilgungspotential ist zugleich das Geldvernichtungspotential. Und Geld muss immer dort vernichtet werden, wo es entstanden ist. Im Falle der speziellen Form Währungsgeld (in Gegenstellung zum Universalgeld; s. Beitrag „Das Geld“) sind das die Banken.
Die Geldvernichtung ist ablesbar sowohl an den Bilanzen der Kreditnehmer, als auch an den Bilanzen der Banken. Dort entstehen bestimmte Einträge bei der Darlehensaufnahme. Die Bilanzen wachsen. Nach der Tilgung werden diese Einträge wieder gelöscht. Die Bilanzen schrumpfen.
Damit das Wertegleichgewicht von Geld und den übrigen Tauschgütern gewahrt bleibt, ist es erforderlich, dass jedes bei den Banken für den Markt geschaffene Geld eines Tages wieder vom Markt verschwindet. Wo eine leistungsteilige Tauschgesellschaft Geldbeträge schöpft („Monetisierung“), muss sie diese nach einem bestimmten Modus wieder annullieren („Demonetisierung“). Denn Geld dient in einer normal funktionierenden Finanzwirtschaft lediglich als Lückenfüller im allgemeinen Sachgüterverkehr. – Ohne das Geldvernichtungspotential der Darlehensnehmer funktioniert eine Finanzwirtschaft auf Kreditgeldbasis nicht. Die Vernichtung einmal geschöpften Geldes ist ein unabdingbares Muss innerhalb dieser Wirtschaft. Gelingt sie nicht, erwachsen Probleme.
Weil jeder Kredit auf einem Schuldentilgungsversprechen beruht – fixiert z. B. im Darlehensvertrag – ist er nur dann gedeckt, wenn auch das Tilgungsversprechen gedeckt ist. Und diese Deckung ist nichts anderes als das Tilgungsvermögen des Schuldners. In einer sachgerecht funktionierenden Finanzwirtschaft müssen sich Geldschöpfung und Geldvernichtung (Rückzahlung der Kredite) stets die Waage halten. Es dürfen nie mehr Tilgungsversprechen – in welcher Form auch immer – auf den Markt kommen, als ihn durch Tilgungsvermögen wieder verlassen können. Nur dann gäbe es so viele Schulden bei den Markteilnehmern, wie das für ein gutes wirtschaftliches Gedeihen notwendig ist. Zwischen allen Sachgütern und allem Geld bestünde (z. B. zum Zwecke einer nachhaltigen Kalkulation bei den Produzenten) ein hinreichend stabiles Wertegleichgewicht. – Das Gleichgewicht ist gestört, wenn sich eine widernatürlich geschöpfte Geldmenge am Markt befindet. Aber wie kommt es zu einer widernatürlich geschöpften Geldmenge?
In einer gesunden Geldwirtschaft sollte bei der Geldschöpfung (Kreditierung) der Wert eines Tilgungsversprechens nie höher angesetzt werden als der Wert des ihm als Deckung zugrunde liegenden Tilgungsvermögens. Professionalität und Umsicht geldschöpfender und geldleihender Kreditoren bestehen darin, diesen Wert richtig einzuschätzen. Dadurch verhindern sie, dass bloßes „Luftgeld“ auf den Markt kommt. Werden bei der Bewertung der Tilgungsvermögen, also bei den Bonitätsprüfungen, Fehler dahingehend gemacht, dass dieses Vermögen im Hinblick auf die Marktgegebenheiten überbewertet ist, dann kann es leicht zu einem Tilgungsausfall kommen.
Durch Tilgungsausfälle, wenn sie nirgendwo aufgefangen werden, verbleibt Geld in der Welt, dem die Deckung fehlt. Das heißt, Geld kann nicht mehr bzw. nur zum Teil vernichtet werden. Solches Geld ist „Luftgeld“ im wahrsten Sinne des Wortes. „Luftgeld“ ist zwar irgendwie Geld, aber nicht gemäß einer sachgemäßen Gelddefinition (a. a. O.). Ihm fehlt – oft aufgrund von Inkompetenz, Nachlässigkeit oder Profitgier der Kreditoren – ein für die Geldvernichtung ausreichendes Tilgungspotential.
Ein gesundes Finanzwesen zeichnet sich dadurch aus, dass dem neu geschaffenen Geld immer Sachgut gleichen Wertes korrespondiert. Dieses wird durch Realisierung des dem Gelde zugrunde liegenden Tilgungspotentials erzeugt. Fehlt diese Korrespondenz, dann gerät der Wert der real vorhandenen Sachgutmenge in ein Missverhältnis zum Wert der umlaufenden Geldmenge. Überall dort also, wo eine Realisierung von Leistungspotential nicht erfolgt und wo zudem die dadurch verursachten Tilgungsausfälle nicht durch Ausbuchung aufgefangen werden können (z. B. bei einem Bankencrash), entsteht die oben angesprochene „widernatürlich geschöpfte Geldmenge“. Das durch Tilgungsausfall entstandene „Luftgeld“ befindet sich in der Regel in einem Gemisch mit echtem (gedecktem!) Geld im Handel, so dass die Preisverschiebung, die es bewirkt, nicht allzu krass ausfällt. Die Mischung gedecktes Geld-„Luftgeld“ dämpft die Inflation, so dass die Folgen in einem begrenzten Rahmen bleiben.
„Luftgeld“ kann dadurch entstehen, dass längere Zeit gehortete Wertschriften tilgungsunfähiger Schuldner aus irgendeinem Grunde monetisiert werden. Diese Wertschriften sind gewissermaßen schon „luftgeld-schwanger“. Dadurch kommt mehr Geld in die Welt als eigentlich sollte. Erwacht zugleich auch der Kaufwille der Wirtschaftssubjekte, dann fehlt nicht mehr viel auf dem Weg hin zur Inflation.
Um dies durchsichtig zu machen, nehmen wir zunächst einmal an, die Geldmenge sei eine Invariante. Kann es dann trotzdem Inflation geben? – Meine Antwort lautet: Ja. Viele Ökonomen würden mir hier aufgrund ihrer Theorien widersprechen müssen. Ich will meine Antwort begründen.
Betrachten wir einen Tauschvorgang im Finanzbereich. Hier gibt es Demonetisierungen: Geld wird zu einem nichtmonetären Schuldtitel, z. B. beim Ankauf bestimmter Wertschriften. Bei einer solchen Demonetisierung kann das Leistungspotential, das die Wertschriften eigentlich immer decken sollte, einerseits (vom Emittenten) zu hoch angegeben, andererseits (vom Erwerber) zu hoch eingeschätzt werden. Es kann also bei den Wertschriften eine Unterdeckung vorliegen. Dennoch erfolgt der Tausch mit ihnen wertmäßig 1 zu 1.
Nun gibt es am Finanzmarkt auch Remonetisierungen: nichtmonetäre Schuldtitel (z. B. Wertschriften) werden wieder zu Geld. Die Remonetisierung wird in unserem Fall – bei dem ja eine Unterdeckung besteht – auch wieder nur 1 zu 1 stattfinden. Denn wie sollte sich in den jeweiligen Bilanzen des Finanzmittelumlaufs im Bankensystem die 1 zu 1-Relation verschieben, ohne dass jemand sie auf einer dieser Umlaufstationen verfälscht?
Das bilanziell korrekte Spiel geht aber nur dann gut aus, wenn das Leistungspotential, was anfangs bei der Demonetisierung als Deckung zugrunde gelegt wurde, sich vollumfänglich entfaltet hat. Aber diese Entfaltung hat – eben wegen der Unterdeckung – nicht stattgefunden. So fehlen jetzt Güter für den potentiellen Kauf auf dem Markt. Es trifft die gleichgebliebene Geldmenge (s. o.) auf zu wenig Kaufgut. Das Missverhältnis entstand nicht durch ein Anwachsen der Geldmenge, sondern durch das Ausbleiben der Güterproduktion!
In der Abbildung des Beitrags „Der Geldkreislauf“ ist der Ausgangspunkt fehlender Gelddeckung – gewissermaßen der „Ursprung“ der Inflation – genau erkennbar. Es ist der Ort der Geldschöpfung (links unten im Bild). Wenn an dieser Stelle nicht darauf geachtet wird, dass das Geld durch Leistungspotentiale voll gedeckt ist, kann das geschöpfte Geld nicht wieder vernichtet werden (rechts unten im Bild). Es verbleibt ein Wertüberhang von Geld am Markt, dem der Wertgehalt der Sachgüter nicht mehr entspricht. Das veranlasst entweder die Käufer dazu, mehr Geld zu bieten oder die Verkäufer dazu, mehr zu verlangen. Die Sachgüterpreise können flächendeckend steigen. – Eine Inflation bleibt jedoch aus, solange das überschüssige Geld im Hort verharrt und nicht auf den Markt gelangt.
Das Missverhältnis zwischen dem Wert der Geldmenge und dem Wert der Sachgütermenge könnte nun dadurch beseitigt werden, dass eine Wertberichtigung bei den nichtmonetären Schuldtiteln stattfindet – irgendwo bei ihrer Wanderung durch die Finanzwelt (Versicherungen, Banken, Zentralbanken). Entweder ein momentaner Besitzer nimmt diese Berichtigung vor. Oder sie wird ihm von einem eventuellen Käufer aufgezwungen. Der verlangt beim Erwerb des Titels einen Preisabschlag. So käme bei der Remonetisierung der Titel ein wertmäßiger 1 zu 1-Tausch nicht mehr zustande. Es würde aus den Titeln weniger Geld entstehen, als anfangs für ihn hergegeben wurde. Das heißt, es käme eventuell am Ende nur so viel Geld in die Welt, wie an preislich unverändertem Kaufgut dort vorhanden ist. Ein Teil des beim Schuldtitelkauf hergegebenen Geldes war durch die Wertberichtigung vernichtet worden.
Diese Geldvernichtung ist bilanziell ein Ausbuchungsvorgang. Irgend-jemand auf den verschiedenen Stationen des Finanzmitteldurchlaufs hat jetzt einen Verlust. Er büßt für den Fehler, der beim erstmaligen Ankauf der Schuldtitel gemacht wurde. Das Ausbuchen hat keinen Einfluss auf die Deckung der in Umlauf befindlichen Geldmenge. Es ist ein privater Vermögensverlust. An dem Gleichgewichtsverhältnis „numerischer Wert des Geldes“ – „numerischer Wert aller auf dem Markt befindlicher Güter“ ändert sich nichts. Das Ausbuchen ist eine durchaus rechtmäßige, wenn auch unerfreuliche Art der Geldvernichtung, ebenso wirksam wie eine ordnungsgemäße Tilgung.
Gelingt das Ausbuchen nicht oder nicht vollständig – eine Gläubigerinstanz und deren Sekundärgläubiger überstehen den Tilgungsausfall nicht – dann kursieren fortan Finanzmittel auf dem Markt, deren Tilgungspotential (Geldvernichtungspotential) verloren gegangen ist. Das Potential, das beim Erstkauf der Schuldtitel unterstellt und zugrunde gelegt wurde, und das die Erfüllung des Tilgungsversprechens garantieren sollte, realisiert sich nicht. Eine Wertschöpfung, die für eine Tilgung erforderlich gewesen wäre, findet nicht statt. Das bewirkt ein Wertungleichgewicht, das zeitnah nicht zu beseitigen ist. Es sind jetzt mehr Werteinheiten von Geld auf dem Markt als Werteinheiten von Sachgut. Die von den Käufern verlangte Sachgütermenge, die eigentlich hätte erwartet werden dürfen, fehlt jetzt. In dieser Situation wird es unweigerlich einen Wertausgleich geben: die Preise steigen. Wenn der Preisanstieg signifikant und von Dauer ist, sprechen wir von Inflation. Solange sich allerdings die Käufer zurückhalten, also solange die ungedeckten Finanzmittel nur gehortet werden, passiert nichts dergleichen. Aber wehe, der (vielleicht hysterisierte) Kaufwille erwacht.
Inflation und Geldmenge stehen also in enger Beziehung zueinander. Aber es ist nur der ungedeckte Teil der Geldmenge, der sich inflationär auswirkt. Inflation wird in der Regel nicht durch eine gänzlich ungedeckte, sondern durch eine nicht vollständig gedeckte Geldmenge ausgelöst; treffender würde man es so ausdrücken: durch eine zu kleine Sachgütermenge. Mit dieser Redewendung würde man gleich den richtigen Weg einschlagen und die Ursache bei einer nicht erfolgten Sachgüterproduktion suchen und nicht bei der Geldproduktion.
Aus all dem folgt: Nicht eine zu große Geldmenge, sondern das Fehlen der vollständigen Deckung der Geldmenge ist die Ursache für Inflation. Die Inflation korreliert nicht positiv mit der Geldmenge, sondern negativ mit der Gelddeckung (dem Leistungspotential der Kreditnehmer). Erst die mangelnde Gelddeckung erzeugt eine „zu große“ Geldmenge.
Eine Geldmenge kann noch so groß sein. Wenn im Gleichschritt mit ihr auch die Sachgütermenge wächst, bleiben die Preise stabil. Mit der Entnahme von Geld aus dem Hort (dem Portemonnaie) muss die Entnahme von Gütern aus dem Hort (der Lagerhalle) Schritt halten. Eine Geldmenge kann so groß sein, wie sie will. Es darf nur kein ungedecktes Geld darunter sein. Eine inflationäre Geldwirtschaft ist eine Geldwirtschaft mit Gelddeckungslücken. Diese Lücken bewirken, dass zu wenig Güter für den Kauf zur Verfügung stehen.
Die Redeweise „die Geldmenge ist zu groß“ ist nicht falsch. Aber sie sollte durch die Redeweise „die Gütermenge ist zu klein“ ersetzt werden. Denn die Rede von einer „zu großen Geldmenge“ kann leicht in die Irre führen, sichtbar vor allem bei den seltsamen Versuchen, sie kleiner zu machen. Nur eine „naive Quantitätstheorie“ (Ernst Wagemann, 1932) konnte der Auffassung sein, dass eine bloße Erhöhung der Geldmenge Inflation verursache. Die Rede von einer „Geldschwemme“ oder einer „giftigen Geldflut“ (Wirtschaftswoche 42/20) macht nur Sinn, wenn man sie auf ungedecktes Geld bezieht.
Der Sachverhalt, dass Inflation und Gelddeckung in engem Zusammenhang miteinander stehen, kann sich der sogenannten Modern Monetary Theorie (MMT) nicht erschließen. Die MMT beherrscht heute das Bewusstsein vieler Ökonomen. Sie beschreibt zwar die bilanziellen Vorgänge beim Finanzmitteldurchlauf korrekt, erkennt aber die Bedeutung der Gelddeckung nicht. Gerade aber die Gelddeckung ist das maßgebliche Konstituens für das Verständnis der Inflation. Die Bewusstseinsblockade der MMT-ler ist der Gläubigkeit, ja geradezu Blindwütigkeit geschuldet, mit der sie der Ideologie eines Georg Friedrich Knapp (1905) verfallen sind. Damit katapultieren sie sich aus jedem vernünftigen geldtheoretischen Diskurs.
Zitierte Literatur:
Argentarius (Pseudonym von Alfred Lansburgh), Vom Gelde, 3 Bände, Hamburg 1921 und 1923, Nachdruck Gärtringen 2016
Issing, Otmar, Einführung in die Geldtheorie, 15. Aufl. München 2011
Knapp, Georg Friedrich, Staatliche Theorie des Geldes, Leipzig 1905
Wagemann, Ernst, Was ist Geld? Oldenburg 1932
Wirtschaftswoche, Wochenzeitung, Düsseldorf 1973 ff