Dietrich Eckardt (diteck@t-online.de; www.dietrich-eckardt.com
Der Gedankengang des Beitrags „Der Gütertausch“ führte uns zum Phänomen des Kredits. Bei einem Kreditgeschäft stehen sich Kreditor (Gläubiger) und Debitor (Schuldner) als Handelspartner gegenüber. Der Debitor gibt ein Gegenlieferungs-/Tilgungsversprechen ab und erhält dann vom Kreditor die gewünschte Lieferung. Ein Kreditor nimmt dieses Versprechen aber erst dann anstelle einer Lieferung an, wenn er sicher ist, dass der Versprechende irgendwann liefern kann und liefern will.
Natürlich kann man auch auf der Basis bloßen Vertrauens ein Tilgungsversprechen als Liefer-/Zahlungsersatz akzeptieren. Wir Menschen haben jedoch nicht immer den direkten Draht zur Wahrheit. Weil das so ist, birgt ein noch so glaubhaft vorgetragenes Versprechen ein gewisses Risiko. Das Risiko besteht einmal darin, dass es dem, der die Einlösung des Versprechens schuldet, an Können fehlt (physischer Aspekt des Risikos), zum anderen darin, dass es ihm an Wollen fehlt (meta-physischer Aspekt des Risikos). Dazu kommt noch der Umstand, dass der Debitor (Schuldner) das Schuldverhältnis nicht überlebt und stirbt.
Ein erfahrener Kreditor kennt sich in diesen Dingen aus. Er muss bei seinem Schuldner nicht immer Unmoral unterstellen, um dessen Versprechen zu misstrauen. Denn dass jemand „gut ist“ für die Einhaltung seiner Versprechen, hat eben diese beiden Seiten: das Wollen und das Können. Und das Nicht-Können verhindert die Erfüllung eines Versprechens genau so wirksam wie das Nicht-Wollen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Als erstes wird der Kreditor das Können prüfen. Das ist das wirtschaftliche Potential des Debitors, bedarfsgerechte Güter liefern zu können. Das Lieferpotential ist zugleich dessen Schuldentilgungspotential. Es ist die Substanz, der Wert, oder wie wir auch sagen – die Deckung des Tilgungsversprechens. Tilgungsversprechen sind erst dann wertvoll/substanzhaltig, wenn sie durch das Liefer- bzw. Tilgungspotential ihrer Emittenten gedeckt sind. Ein Tilgungsversprechen kann nicht anders gedeckt sein als durch ein Tilgungsvermögen.
Der Emittent eines Tilgungsversprechens muss die erforderliche Tilgungsfähigkeit besitzen. Er muss „gut sein“ für eine Tilgungsleistung. Diese Eigenschaft heißt im Marktjargon Bonität. Die Bonität ist jene Eigenschaft, die dazu befähigt, über den Eigenbedarf (inklusive Investitionsbedarf) hinaus so viele bedarfsgerechte Ressourcen zu erwirtschaften, damit eine Tilgung geleistet werden kann. Man spricht hier auch von Kreditwürdigkeit.
Die Bonität ist gewissermaßen das Faustpfand des Kreditgebers für die Einlösung des vom Kreditnehmer abgegebenen Versprechens. Erst aufgrund dieses Pfands kann das Versprechen zum echten Tauschobjekt, sprich: zum Zahlungsmittel werden. Zu diesem Faustpfand gehört nicht nur das Vermögen, bereits vorhandene Güter für die Tilgung zu verwenden, sondern auch das Arbeits- und Erfindungsvermögen, um z. B. bedarfsgerechte Güter für die Tilgung erst herzustellen.
Wie kommen die Kreditoren dazu, Bonität zu unterstellen? Sie ermitteln sie durch eine Bonitätsprüfung. Der Gegenstand der Prüfung ist nicht die Qualität eines bestimmten Sachguts, sondern die Qualität des Lieferanten des Sachguts. Das erfordert ein genaues Dossier über dessen Person und sein Eigentum. Hierin wird vermerkt, ob ein Schuldner in der Lage ist, dies oder jenes zu leisten, zu fertigen, zu liefern usf. Es wird auch vermerkt, was er in der Vergangenheit schon geleistet hat. Denn „Erfolg in der Vergangenheit ist ein Bonus für die Zukunft“ (Wolfgang Sofsky, 2019).
Das Lieferpotential eines Schuldners stellt dessen Tilgungspotential dar, sein „Vermögen“. Das Vermögen ist die Summe aller Güterliefer- und aller Gütererzeugungspotentiale. Auf beides bezieht sich die Bonitätsprüfung. Die Faktizität solcher Prüfungen beweist, dass ein Kreditgeschäft keine „Gefälligkeit“ ist, wie manche Ökonomen meinen (Gregory Mankiw and Mark Taylor, 2021).
Die Tauschvorgänge, die ein Tilgungsversprechen beinhalten, und das sind die weitaus meisten, reißen eine Lücke am Markt auf. Die versprochenen Güter sind noch nicht da. Sie müssen erst produziert werden. Der Aufschub einer Tilgung/Zahlung ermöglicht, dass das für eine Tilgung notwendige Wirtschaftsgut zwischenzeitlich erzeugt wird. Die Lieferung/ Schuldentilgung (als Gegenlieferung!) erfolgt nach der Erzeugung bzw. nach dem Verkauf des erzeugten Gutes. Die Güterproduktion schließt die Lücke, die durch das Versprechen beim Tausch aufgerissen worden war. Die Lücke ist somit eine Güterschöpfungslücke. Da die Güter in der Regel einen Wert haben, spricht man auch von Wertschöpfungslücke.
Hat der Tausch an sich schon eine diffizile Wesensstruktur (präsent in den Geistesleistungen Evaluieren, Quantifizieren und Kreditieren), so ist das Kreditieren in sich selbst noch einmal komplex. Bei der nun anstehenden weiteren Analyse des Vorgangs geht es darum, einen Übergang zu finden zu solchen Tauschhandlungen, die wir Kaufen bzw. Verkaufen nennen. Kaufen und Verkaufen sehen wir – im Unterschied zu einem asymmetrischen Tausch – als vollständig symmetrische Tauschakte an, obwohl hier nur ein einseitiger Sachgutwechsel stattfindet.
Bei einem asymmetrischen Tausch wird die Tilgung einer Schuld nur versprochen. Damit sich ein solcher, in den ja nur ein Versprechen einfließt, als symmetrischer Tausch vollenden kann, muss das Versprechen zu einem echten Zahlungsmittel werden. Denn vorher schließt es einen Tausch nur provisorisch ab.
Die Zahlungsmittelwerdung des Versprechens erfolgt unter bestimmten Voraussetzungen. Sein Emittent muss erstens tilgen können. Und er muss zweitens tilgen wollen. Das Können ermittelt eine Bonitätsprüfung (s. o.). Wie aber prüft ein Sachgutlieferant, ob sein Geschäftspartner die Gegenlieferung erbringen will? Ein Versprechen ist zunächst doch nur eine verbale Kundgabe, eine Äußerung von Worten.
Der Lieferant eines Sachguts (Kreditor) kann den Worten des von ihm Belieferten (Debitor) vertrauen oder auch nicht. Im zweiten Fall verlangt er die schriftliche Abfassung des Versprechens. Wir setzen voraus, dass der Belieferte kein Problem damit hat. Er stellt eine von ihm unterschriebene Bescheinigung seines Versprechens aus. Die Bescheinigung ist der schriftliche Niederschlag des Versprechens – in Form eines Dokuments.
Man kann im Erstellen eines Dokuments den Beweis sehen, dass der Emittenten sein Versprechen einhalten will. Denn er wird nur dann eine Bescheinigung ausstellen, wenn er sich ernsthaft entschulden will. Mit der schriftlichen Hinterlegung seiner Absicht unterwirft er sich indirekt dem „Leviathan“ der Gesellschaft. Das heißt, er ermöglicht seinem Kreditor, das Gewaltpotential einer Exekutive herbeizuziehen, falls er sein Versprechen bricht.
Ein Sachgutlieferant verlangt also aus gutem Grund, dass ihm sein Tauschpartner seine vorerst nur mündliche Zusage als Dokument überreicht. Das Versprechen muss jedenfalls vergegenständlicht sein, so wie alle anderen dinglich präsenten Tauschgüter am Markt auch. Es muss wie ein Ding weitergereicht bzw. übertragen werden können. Gegenstandscharakter erlangt es erst, wenn es materiell existiert.
Weil ein Versprechen nicht in gewöhnlichem Sinne vergegenständlicht werden kann, sondern nur als Symbol (als Schriftzug auf einem Trägermedium), handelt es sich bei dessen Bescheinigung um eine symbolische Vergegenständlichung. Das Versprechen als solches wird durch das Symbol zwar nicht zum Gegenstand. Aber in Gestalt einer Bescheinigung kann es wie ein Gegenstand behandelt werden – auch wenn die nur digital existiert. Durch seine symbolische Vergegenständlichung (als Bescheinigung) mutiert das Tilgungsversprechen zu einem realen Gut und kann als solches am Gütertausch teilnehmen.
Wir setzen voraus, dass ein Tilgungs-/Lieferversprechen in schriftlicher Form vorliegt. Damit ist dokumentiert, dass der Emittent des Versprechens eines Tages liefern will. Außerdem findet der Kreditor aufgrund einer Bonitätsprüfung heraus: das Leistungspotential zur Begleichung der Schuld ist vorhanden (s. o.). Damit ist auch das Können erwiesen. Beide Voraussetzungen für die Akzeptanz des Tilgungsversprechens als ein Ding zum Tauschen sind erfüllt.
Ein bescheinigtes Tilgungsversprechen ist für den einen Tauschpartner (Kreditor) eine Berechtigung auf Leistungsempfang, stellt also einen Gutschein dar. Für den anderen (Debitor) ist er eine Leistungspflicht, stellt also einen Schuldschein dar. Für den Emittenten des Scheins ist er ein Schuldschein, für den Empfänger und Inhaber ist er ein Gutschein. Ein in den Handel gebrachter Gutschein hat – wie jedes sonstige Tauschobjekt (s. Beitrag „Der Tausch“) – stets diese Eigenart: Gut und Schuld in einem zu sein. Die Bescheinigung eines Tilgungsversprechens ist insofern ein Gut-Schuld-Schein. Das unterscheidet sie von anderen Bescheinigungen, z. B. von einem Schulzeugnis oder von einer Arbeitserlaubnis. Der Einfachheit halber spreche ich von dem Gut-Schuld-Schein künftig immer nur von einem Gutschein. Andere nennen diesen Schein mit gleichem Recht Schuldschein). Dennoch hat er zwei Seiten: Bestätigung einer vorhandenen Schuld und Anspruch auf ein entsprechendes Gut.
Ein Gutschein ist nicht das Versprechen selbst, sondern dessen Verdinglichung. Weil ein mündliches Versprechen nicht in gewöhnlichem Sinne verdinglicht werden kann, sondern nur als Symbol, handelt es sich beim Gutschein um einen symbolischen Gegenstand. Das Versprechen als solches wird durch seine symbolische Vergegenständlichung zwar nicht zum Ding im üblichen Sinne. Aber in Gestalt eines Gutscheins kann es wie ein Ding behandelt werden – auch wenn dieser Schein nur digital existiert. So lässt sich sagen:
Ein Gutschein ist ein symbolisch vergegenständlichtes Versprechen, das gedeckt ist durch das Potential seines Emittenten, die mit seiner Emission in die Welt gelangte Schuld zu tilgen.
Hat sich das Leistungspotential, das hinter einem Gutschein steht, eines Tages realisiert, ist also die Tilgung der Schuld erfolgt, dann muss der Gutschein vernichtet werden („zerrissen“, oder als Bucheintrag oder elektronisches Datum gelöscht). Erst nach solcher Vernichtung ist der Tausch vollständig abgeschlossen.
Nun hat ein Gutschein in der bisher erörterten Form vom Handelsgesichtspunkt aus ein großes Manko: Er ist nur von einem Tauschpartner als Zahlungsmittel akzeptiert. Das muss nicht so bleiben. Der oben erwähnte Sachgutlieferant findet vielleicht einen anderen Tauschpartner, der den in seine Hand gelangten Gutschein seinerseits als werthaltiges Tauschgut/ Zahlungsmittel akzeptiert. Dieser Vorgang kann sich mehrfach wiederholen. Der Gutschein geht von Hand zu Hand. Er wechselt von Akzeptant zu Akzeptant und wird auf diese Weise zum Wechsel („Handelswechsel“):
Gläubiger (G) und Schuldner (S) im Wechselverkehr
Ein Gutschein oder ein Wechsel muss keine Wertangaben enthalten. Die dort verzeichnete Sache kann auch ohne quantitative Bewertung zum Gegenstand eines Tauschgeschäfts werden – wenn sie nur hinreichend genau definiert ist. Die Emittenten von Gutscheinen (Debitoren) stehen lediglich dafür, die Sache in definierter Weise zu liefern. Ein Gutschein kann aber auch – und er ist es in der Regel – quantitativ bewertet sein.
Als quantitativ bewertete Bescheinigung ist der Gutschein ein sogenanntes Wertpapier. Weil der Wert eines Gutscheins nicht immer auf Papier aber immer schriftlich dokumentiert ist, benutzen wir besser den Ausdruck Wertschrift. Eine Wertschrift kann – wie uns die Geschichte lehrt – unterschiedlichste Gestalt annehmen: als Aufschrift auf einem Stück Rinde (Urvölker), auf einer Silberfolie (Indien), als Münzaufdruck (Abendland), als digitales Datum in einer EDV-Anlage bzw. auf einer Plastikkarte (Globus) oder eben auch auf einem Blatt Papier.
Die oben formulierte Aussage über die Wesensgestalt eines Gutscheins lässt sich daher erweitern: durch eine quantitative Wertangabe:
Eine Wertschrift ist ein symbolisch vergegenständlichtes, quantitativ bewertetes Versprechen, das gedeckt ist durch das Potential ihres Emittenten, die mit der Emission in die Welt gelangte Schuld zu tilgen.
Ist ein Gutschein eine Wertschrift, dann schuldet der Emittent nicht nur ein Gut schlechthin, sondern ein Gut mit einem ausgewiesenen Zahlenwert. Der Schuldner A (Debitor) verspricht seinem Gläubiger B (Kreditor), zu einem späteren Zeitpunkt X am Ort Y das Tauschgut Z im Wert von CD als Gegenlieferung herbeizuschaffen. C bezeichnet eine Zahl und D bezeichnet ein Wertmaß (Dollar, Euro, Yen). Erst durch das Hinzufügen von Zahl und Wertmaß wird die Bescheinigung des Tilgungsversprechens (als quantitativ bewerteter Gutschein bzw. als Handelswechsel) für einen größeren Kreis von Handelspartnern zu einem brauchbaren Tauschobjekt.
Vor allem gute Wertschriften, z. B. Anteilscheine hochbonider Unternehmen, haben aufgrund ihrer großen intersubjektiven Akzeptanz als Zahlungsmittel unverkennbar Geldcharakter. Sogar einige Wertschriften-Derivate (z. B. Floater) zeichnen sich durch dieses Merkmal aus. Manche Wertschriftendepots sind so marktoffen wie Bargeldkassen. Ihre Inhaber sind so liquide wie die Inhaber von Girokonten (Heinz Brestel, 1986). Sie können jederzeit abheben, Überweisungen tätigen, Schecks ausstellen usw.
Zitierte Literatur:
Brestel, Heinz, Auf dem Weg vom Buchgeld zum Briefgeld, FAZ vom 23.8.1986
Eckardt, Dietrich, Der Markt und seine Verzerrung, Berlin 2022
Mankiw, Gregory und Taylor, Mark, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 2021
Sofsky, Wolfgang, Macht und Stellvertretung, Leipzig 2019