Der Gütertausch
Dietrich Eckardt (diteck@t-online.de; www.dietrich-eckardt.com
Die menschliche Gesellschaft ist seit undenklichen Zeiten keine reine Selbstversorgergesellschaft mehr, sondern auch Handelsgesellschaft. Als solche baut sie auf den Tausch: Leistung (Hergabe von Gütern durch X) gegen Leistung (Hergabe anderer Güter durch Y), wobei das Tauschgut auch Geld sein kann. Man spricht daher passend von „Leistungsgesellschaft“.
Die Leistungsgesellschaft in ihrer angeblichen Härte ist die natürlichste und ehrlichste Form der Vergesellschaftung von Menschen. Sie ist die einzige Form zwischenmenschlichen Verkehrs, welche frei ist von Sonderrechten und insofern die „Prinzipien der Natur“ internalisiert. Da eine Leistungsgesellschaft den Ausschluss jeglichen Privilegs erfordert, darf sie – mit Ausnahme vielleicht der Freundschaft – als die moralisch erfreulichste unter allen Gesellschaftsformen gelten. Es ist jene Gesellschaft, „die dem arbeitenden Menschen die besten Entfaltungsmöglichkeiten bietet“ (Hans Sennholz, 1995). Aufgrund ihrer Privilegienfreiheit verbaut sie keinem, der „von unten“ kommt, Entwicklungschancen. Es ist die Idealgesellschaft für Aufsteiger.
Der Ort des Tausches ist der Markt. Das Marktgeschehen wird durch die „Bedürfnisse der Menschen“ gesteuert, so heißt es gewöhnlich. Dem kann man pauschal zustimmen, vor allem, wenn man den Gütertausch vor Augen hat. Wer hingegen den Inbegriff des Marktes, mit anderen Worten: die Wesensmerkmale des Tausches, ergründen will, wird nicht sofort Ja sagen können. Denn der Tausch wird durch eine bestimmte mentale Struktur des Menschen gesteuert und damit erst möglich gemacht. Konkret: der Tausch kommt erst auf der Basis des Evaluierens, des Quantifizierens und oft auch des Kreditierens zustande. Diese Geistesleistungen sind – als konstituierende Komponenten – die Säulen des Tausches. Die Kenntnis dieser „Säulen“ ist die Voraussetzung für ein tieferes Verständnis des Marktgeschehens. Aus didaktischen Gründen werde ich die Beschreibung dieser drei „Säulen“ übergehen (s. dazu mein Buch „Der Markt und seine Verzerrungen“) und mich gleich der Grundgestalt des Tausches zuwenden.
Der Tausch ist das augenfälligste Geschehen am Markt. Er ist allgegenwärtig. Er bewirkt, dass das Ich in Kontakt mit anderen kommt, vor allem mit Leuten außerhalb seines engsten Lebenskreises. Beim Tausch treten die Menschen heraus aus der Vereinzelung. Der Impuls zum Tausch ist die Zentripetalkraft, die den ansonsten eher zentrifugalen (individualisierenden) Kräften menschlichen Lebens entgegenstrebt. Der Tausch bewirkt zwar nur eine spezielle Form der Vergesellschaftung, nämlich die wirtschaftliche. Aber eine Gesellschaft ist im Kern Wirtschaftsgemeinschaft. Und die Wirtschaft ruht auf den Schultern jener, die sie in Gang halten, den produktiven Klassen. Zu den produktiven Klassen zählen die Händler. Denn auch sie schaffen „Mehrwert“. Inwiefern?
Der Tausch vermindert den Arbeitsumfang bei der Herstellung der Güter, weil er eine Arbeitsteilung bei den Arbeitenden ermöglicht. Die können dadurch in gleicher Zeit mehr Gütermasse produzieren. Das senkt den Arbeitsaufwand (die Kosten) pro Einzelprodukt. Die wichtigste Folge der Arbeitsteilung ist also – wie schon Hermann Heinrich Gossen (1854) richtig erkennt – der Wertzuwachs, den der Tausch als solcher bei den Gütern bewirkt.
Diese Einsicht ist ein Affront gegen alle, die dem Handel einen Anteil an Wertzuwachs bei den Gütern absprechen und ihn nur der Güterproduktion beimessen wollen. Der Tausch ermöglicht erst die Spezialisierung der Güterproduktion. Es können die Produzenten mit gleichem Aufwand mehr Werte schaffen. Dieses Mehr an Güterwert geht in Gänze auf den Tausch zurück und nicht auf die Produktion. Die erst durch den Tausch ermöglichte Arbeitsteilung bewirkt, „dass der Einzelne nicht die ganze Masse aller vom ganzen Menschengeschlecht gesammelten Kenntnisse sich anzueignen braucht“ (Gossen, a. a. O.). Die Spezialisierung beim Wissen schont Ressourcen und bewirkt somit letztlich Wertzuwachs, wenn auch nur indirekt. So steigern aufgrund des Tausches die Produzenten nicht nur ihren eigenen Gewinn, sondern auch den Gewinn der ganzen Gesellschaft. „Hierdurch kommt es nämlich, dass in… den meisten Fällen durch einfachen Tausch bestimmter Sachen, wenn diese auch durch den Tausch keine Veränderung erleiden, eine außerordentliche Werthvermehrung bewirkt werden kann… Wohl zu bemerken ist hier, dass dieser Zuwachs an Werth durch den Tausch und lediglich durch diesen hervorgebracht wird“ (a. a. O.). Der Handel bewirkt also aus sich selbst heraus und ohne Einfluss der Produktion einen allgemeinen Werte- und Güterzuwachs in der Wirtschaftsgemeinschaft.
Beim Tausch muss jedes Gut einerseits herausgegeben, andererseits angenommen werden. Der Wechsel im Güterbereich ist immer ein Geben und Nehmen. Der Tausch ist ein Akt mit zwei solchen Wechseln, also ein doppeltes Geben und Nehmen. Man spricht daher auch von der „Bilateralität“ des Tausches. Die Bilateralität ermöglicht, dass bei den gegenläufigen Gütertransfers Symmetrie vorwaltet, im Unterschied zum Schenken, wo diese Symmetrie fehlt.
Auch Arbeit fungiert als Tauschgut, kann also gekauft oder verkauft werden. Schon bloß die Bewerbung um einen Arbeitsplatz zielt auf ein Tauschgeschäft: Das Wirtschaftsgut Arbeit gegen das Wirtschaftsgut Lohn. Ebenso zielt die Anrufung eines Gerichts auf einen Tausch: Rechtstitel gegen Gebühr bzw. Honorar. Oder es wird die Hilfsleistung einer Bildungseinrichtung ertauscht: Persönlichkeitsbildung gegen Gehalt. In all diesen Fällen werden Güter gegeneinander bewegt. Beim Tausch gelangen die Güter aus dem Bereich der Güterhortung in den Bereich der Güterbewegung. Der Ort der Güterbewegung ist der Markt.
Am Markt bewegt sich ein Tauschgut im Gegenzug zur Bewegung eines anderen: Erdöl gegen Know-how, Geld gegen Fleisch, Fleisch gegen Brot, Brot gegen Geld, Geld gegen Maschinen usw. Schon aus dieser kurzen Aufstellung ist ersichtlich, dass nicht überall Geld zum Zuge kommt. Denn sobald irgendein Gut in den Tausch, also auf den Markt gelangt, ist es per se Zahlungsmittel. Eine Bezahlung ist – das wird aus der Abbildung 1 deutlich – die Vergütung einer Lieferung, ganz gleich, in welcher Form sie erfolgt. Wegen der Bilateralität des Tausches sind also immer beide Tauschpartner „Zahlmeister“.

Verschwindet ein Wirtschaftsgut vom Markt, dann ist es nicht mehr Zahlungs- sondern Wertaufbewahrungsmittel. Es gelangt aus der Bewegungs- in die Ruheposition. Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel zu sein, das sind zwar die beiden wichtigsten Teile der klassischen Gelddefinition. Wir sehen jetzt aber, dass diese Definition das Wesen des Geldes nicht trifft, weil sie auf jedes Tauschgut passt. Nicht nur Geld, sondern jedes im Besitz eines Menschen befindliche Gut ist einerseits Zahlungsmittel (sobald es auf den Markt kommt) andererseits Wertaufbewahrungsmittel (sobald es den Markt wieder verlässt). Dieser Sachverhalt wird noch deutlicher nach genauerer Analyse.
Mit der Verwandlung meines persönlichen Guts oder eines Teiles davon in ein Tauschobjekt geht zugleich eine zumeist unbeachtete Verwandlung an diesem Gut einher. Es passiert mit ihm folgendes: Mein Tauschpartner und ich sehen in meiner auf dem Markt befindlichen Sache nicht mehr nur ein Gut, das im Wege des Tausches übertragen werden soll, sondern zugleich auch eine Schuld, die mir wegen der Vergeltungspflicht meinem Tauschpartner gegenüber entsteht. Mein Gut ist meinem Tauschpartner für den Erwerb von dessen Gut geschuldet. Meine zum Tauschangebot mutierte Sache ist also nicht nur schlicht Gut, sondern GutundSchuld in einem.Eine Zahlung ist sowohl die Übertragung eines Gutes als auch der Ausgleich einer Schuld.
Die beiden Eigenschaften „Gut“ und „Schuld“ erscheinen hier als Merkmale eines Tauschobjekts. Aber die Aspekte: für etwas „gut sein“ und für etwas „Schuld tragen“ sind auch Merkmale von Menschen. Worauf wir im Folgenden unser Hauptaugenmerk richten, auf den Menschen oder auf sein zum Tausch angebotenes Objekt, ist für den Fortgang der Darstellung unerheblich. Wichtig hingegen ist – und deshalb festzuhalten – die Januskopfigkeit des Tauschobjekts, d. h. der Umstand, dass hier Gut und Schuld zusammenfließen. Dieser Umstand ist wichtig, damit später der Wesenscharakter des Geldes klar vor Augen geführt werden kann.
Tauschvorgänge, bei denen ausschließlich Sachgüter bewegt werden, sind relativ gut überschaubar. Schwieriger wird es, wenn wir jene Güter in unsere Betrachtung einbeziehen, die keinen genuin gegenständlichen Charakter haben. Aber gibt es überhaupt nichtgegenständliche Tauschgüter?
Beim Tauschen (Kaufen/Verkaufen) kommt es oft vor, dass einer der beiden Tauschpartner seine Lieferung verzögert. Es verbleibt eine Lieferschuld. Der schuldbelastete Tauschpartner verspricht aber, seine Schuld zu tilgen. Insofern ist sein Versprechen ein Schuldentilgungsversprechen. Ein Tausch kann offenbar nicht nur dadurch abgeschlossen werden, dass ein Sachgut mittels eines anderen Sachguts direkt und in einem Zuge vergolten wird, sondern auch dadurch, dass die Vergeltung einer Lieferung nur versprochen und in die Zukunft verlegt wird. Dann wird der Tausch quasi unter Beigabe eines immateriellen Anteils beendet. Man tauscht mit dem bloßen Versprechen, eine Lieferschuld zu tilgen.Hier könnte der Eindruck entstehen, es läge gar kein richtiger Tausch vor. Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als handele es sich um eine Schenkung. Dass dies nicht so ist, zeigt die folgende Abbildung:

Das Versprechen signalisiert die Absicht, ein bedarfsgerechtes reales Gut im Tausch gegen jenes Gut, welches sofort zur Nutzung bereitsteht, später zu liefern. Es korrespondiert einem Schuldeingeständnis: A hat von B etwas bekommen, das ihm nicht geschenkt wurde. Nun ist er dem B etwas schuldig. Nur noch A, als einer der beiden Tauschpartner, trägt eine Schuld. Und nur noch B erfreut sich eines Guthabens. Der Emittent des Versprechens A versichert seinem Tauschpartner B, zu einem späteren Zeitpunkt X am Ort Y das Tauschgut Z als Gegenlieferung herbeizuschaffen. Das Versprechen der Gegenlieferung bezieht sich also auf die Tilgung der Schuld, die durch eine bereits erfolgte Lieferung beim Belieferten entstanden ist.
An die Stelle des unmittelbar erfolgenden Schuldabgleichs durch die Übertragung eines realen Gutes beim bilateralen Sachgütertausch tritt nun das Versprechen, dies irgendwann einmal zu tun. Darin dokumentiert sich eine temporale Komponente – in Form eines Zukunftsbezugs. Tauschgeschäfte kommen oft dadurch zustande, dass ein Tauschpartner für die Gegenlieferung seiner Lieferung eine Zeitverzögerung akzeptiert. Er stundet die Gegenlieferung. In dem Wort „Stundung“ kommt die temporale Komponente des asymmetrischen Sachgütertausches klar zum Ausdruck. Die Stundung ist für das Zustandekommen eines Tausches genauso konstitutiv wie die Abgabe des Tilgungsversprechens.
Mit der Abgabe des Versprechens ist die doppelte Transaktion beim Tausch – als Sachgütertausch – zwar aufgebrochen. Mit ihm kann aber der ansonsten unvollendet bleibende Tausch provisorisch beendet werden. Nicht also mit einer materiellen Leistung – als Gegenleistung für bereits Geleistetes – wird hier gehandelt, sondern bloß mit einer Bekundung, also mit einem immateriellen Akt.
Ein Tilgungsversprechen ist einerseits das Versprechen des Ausgleichs einer Schuld, damit zugleich aber auch das Versprechen der Lieferung eines Gutes. Schon bei der Mutation eines Gutes zum Tauschobjekt, also zu einem Ding für den Markt, beobachten wir diesen Doppelcharakter: Schuld und Gut zugleich zu sein (s. o.). Ein Tilgungsversprechen – in seiner Rolle als Tauschgut – bildet hier keine Ausnahme. Es bezieht sich nicht auf zwei Sachverhalte, sondern nur auf einen, aber einen mit zwei Seiten. Denn Schuldausgleich und Gutübertragung sind die beiden Komponenten ein und desselben Tilgungsvorgangs.
Den Tauschpartnern wird oft erst beim asymmetrischen Tausch bewusst, dass sie, und zwar bei jedem(!) Tausch, zwei Rollen spielen: die des Schuldners und die des Gläubigers. Erst beim asymmetrischen Tausch sind die Rollen einseitig und eindeutig wahrnehmbar: ein Tauschpartner liefert sofort, der andere erst später. Dadurch wird der eine zum alleinigen Gläubiger, der andere zum alleinigen Schuldner. Es wird auch jetzt erst ausdrücklich registriert, dass der Tausch, und zwar jeder Tausch, ein Schuldverhältnis beinhaltet und beendet.
Beim Tausch besteht per definitionem keine Schenkungsabsicht. Deshalb bleibt bei einem asymmetrischen Tausch der Belieferte dem Lieferanten etwas schuldig. Eigentlich müsste die einseitig erfolgte Lieferung jetzt rückgängig gemacht werden. In einigen Fällen geschieht das auch. Aber wenn solche Rückabwicklung in allen solchen Fällen erfolgte, bedeutete das eine enorme Verkehrsbeschränkung für den Handel. So bemüht man sich auch hier, einen bilateralen Tausch zustande zu bringen. Das geschieht mit Hilfe des Kredits. Der Belieferte erhält für den Zeitraum bis zu seiner Gegenlieferung von seinem Lieferanten Kredit, ganz gleich, in welcher Form. „Das Kreditgeschäft ist ein Tausch gegenwärtiger gegen künftige Güter“ (Ludwig von Mises, 2005; s. auch Jürgen von Hagen und Johann Heinrich von Stein, 2000). Das Wort „Kredit“ wird hier in seinem ursprünglichen, prämonetären Sinne verwendet. In Bezugnahme auf die beiden Rollen der Kreditpartner spricht man vom Kreditor und vom Debitor. – Mit dem Kredit und der Rollenverteilung der daran beteiligten Wirtschaftssubjekte müssen wir uns in einem weiteren Beitrag beschäftigen.
Zitierte Literatur:
Eckardt, Dietrich, Der Markt und seine Verzerrung, Berlin 2022
Gossen, Hermann Heinrich, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und den daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln, Braunschweig 1854
Hagen, Jürgen von und Stein, Johann Heinrich von (Hrsg.): Obst /Hintner – Geld-, Bank- und Börsenwesen, 40. Aufl. Stuttgart 2000
Mises, Ludwig von, Theorie des Geldes und der Umlaufmittel, Nachdruck Berlin 2005
Sennholz, Hans, Über den Abbau von Armut und Ungleichheit in: Roland Baader (Hrsg.), Wider die Wohlfahrtsdiktatur, Gräfelfing 1995