Dietrich Eckardt (www.dietrich-eckardt.com; diteck@t-online.de)
Eine unbeschwerte Nutzung von persönlichem Besitz ist nur möglich, wenn er sich im Eigentum befindet, also ein sozial gewährter Besitz ist. Eine weitere Bedingung ist, dass der Besitz geschützt ist. Ein Derivat des Naturrechts der Freiheit ist das Recht auf freie Eigentumsnutzung (s. mein Beitrag zum Eigentumsbegriff). In einer entwickelten Gesellschaft ist das Recht auf Eigentumsnutzung der Bezugspunkt für alle Handlungsnormen (s. mein Beitrag über die Handlungsnormen).
Ein auffallendes Charakteristikum für die Verfälschung von Recht ist, dass das Eigentum laut z. B. der deutschen Verfassung eine Verpflichtung enthält, die nicht auf einen Vertrag oder eine Schenkung rückführbar ist. Im Art. 14/2 des „Grundgesetzes“ heißt es nämlich: „Eigentum verpflichtet“. Hier ist das Eigentum ganz aus sich heraus verpflichtend. Diese Aussage findet sich – derart kurz und akzentuiert – wohl nur in der deutschen Verfassung. Die dahinterstehende Rechtsauffassung bestimmt aber auch das Rechtswesen in vielen anderen Ländern. Sie will besagen: jeder, der Eigentum hat, ist allein schon aufgrund dessen zu etwas anderem verpflichtet. In Artikel 14/2 erscheint der Eigentümer als jemand, dem man auch ohne Vertragsbasis eine Verpflichtung andienen kann und der lediglich kraft bloßer Eigentümerschaft Pflichten zu erfüllen habe.
Normalerweise lastet auf dem Eigentum nur dann eine Pflicht, und zwar eine ganz konkrete, wenn es in Vereinbarungen und Verträge eingebunden ist. Ganz anders will es das deutsche „Grundgesetz“. Weder spricht es in seinem Artikel 14/2 von Vereinbarungen und Verträgen, noch sagt es etwas über jene Anteile des Eigentums, die in der Pflicht stehen sollen. Das kann demnach jeder Anteil sein.
Die Sentenz vom verpflichteten Eigentum findet sich schon in der sogenannten „Weimarer Verfassung“ (1919; s. dort die Art. 153, 155 und 156). Schon deren Schöpfer hatten offensichtlich großes Misstrauen gegenüber dem Menschen in seiner Rolle als Eigentümer. „So wurde über dem Privateigentum von der Weimarer Verfassung das Damoklesschwert der Enteignung, der Sozialisierung aufgehängt“, schrieb der Rechtsphilosoph und Sozialdemokrat Gustav Radbruch (1970). In dem Satz „Eigentum verpflichtet“ spricht sich ganz unverhohlen und deutlich etwas aus, das man als Eigentumsimperialismus wahrnehmen muss. Dennoch nahmen die Schöpfer des „Grundgesetzes“ den Satz vom verpflichtenden Eigentum aus der 1945 untergegangenen Weimarer Verfassung wortgleich in den Textbestand ihres neuen Werkes wieder auf. Es war offenbar nicht geprüft worden, inwieweit diese Aussage freiheitskombatibel ist. Das ist umso erstaunlicher, als gerade den sogenannten „Menschenrechten“ (Freiheitsrechten) in der deutschen Verfassung viel Platz eingeräumt wird.
Zu wessen Gunsten geht die dem Eigentümer aufgebürdete Pflicht? Eine Antwort darauf finden wir ebenfalls im Artikel 14/2. Die Eigentumspflicht besteht zu Gunsten des „Wohles der Allgemeinheit“. Jetzt wissen wir es: das durch das „Grundgesetz“ eigentumsbegünstigte Lebewesen heißt Allgemeinheit. Ihm soll es wohl ergehen. Nun ist der Begriff „Allgemeinheit“ nichts anderes als ein Rechtsprinzip, ein bloßes Abstraktum also (s. der Verf., 2021, Anhang 4). Das Wohl eines Abstraktums wird als Anspruchsgröße hineingeschoben ins persönliche Eigentum. Richard Herzinger hat schonungslos und genüsslich aufgedeckt, wie eklatant dieses Vorgehen der Verfassungsschöpfer den natürlichen Bahnen menschlichen Denkens widerspricht (1997).
Der Artikel 14/2 wird durch den Artikel 15 (den sog. „Sozialisierungs“-Artikel) ergänzt. Hier ist von „Vergesellschaftung“ die Rede, durch die Eigentum „in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ überführt werden kann. Ganz davon abgesehen, dass eine „Vergesellschaftung“ eigentlich nur bei einem Ich (qua persona; s. der Verf., 2021, Anhang 1) stattfinden kann und nicht bei irgendwelchen Dingen, was bedeutet diese „Grundgesetz“-Passage für das Rechtsleben?
Der Artikel 15 dieses „Gesetzes“ formuliert das, was man unter Juristen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nennt. Diese „Pflichtigkeit“ wurde bereits im 19. Jahrhundert von Adolph Wagner, dem „gelehrten deutschen Vorkämpfer des Staatssozialismus“ (Ferdinand Tönnies, 1926) eingefordert. Hinter dem Ausdruck „Sozialpflichtigkeit“ verbirgt sich das, was man gewöhnlich unter „soziale Bindung“ des Eigentums versteht. Damit meint man: persönliches Eigentum sei nicht nur für ein Individuum allein da, sondern Andere aus der Gesellschaft hätten auch Anteil daran. Das eigentumserhaltende Diskriminierungsgebot (s. mein Beitrag über das Eigentum) ist damit praktisch ausgehebelt.
Die Konstitutionsanalyse des Eigentumsbegriffs führt beim Eigentum zweifellos auf eine „soziale Bindung“, aber auf eine ganz andere Art, als die in den Artikeln 14/2 und 15 des „Grundgesetzes“ offenbar gemeinte. Die „soziale Bindung“ des Eigentums ist wesensmäßig bestimmt durch die Gewährung der individuellen Nutzung von Gütern. Sie ist gegeben durch den sozialen Akt, der aus bloßem Besitz Eigentum macht. Ein Ich allein kann aus seinem Besitz kein Eigentum machen.
Etwas real besetzt haben (physischer Aspekt) und die Nutzung des Besetzten von Anderen rechtlich gewährt bekommen (meta-physischer Aspekt) vereinigen sich im Begriff „Eigentum“. So umfasst Eigentum beide Aspekte des menschlichen Lebens. Die eigentliche „soziale Bindung“ des Eigentums besteht also darin, es aus bloßem Besitz heraus gesellschaftlich zu verrechten und nicht darin, es zu verpflichten. Die Pflicht tritt nur immer in Form eines frei abgeschlossenen Vertrags an ein Eigentum heran.
Die soziale Eigentumsgewährung schafft erst das, was die Verfassungsgeber mit ihren Artikeln 14/2 und 15 abschaffen wollen: das Nutzungsmonopol bei persönlichem Besitz. Die in der deutschen Verfassung formulierte sogenannte „Sozialpflichtigkeit“ hebt dieses Monopol auf. Der freie soziale Akt der Gewährung, der bloßen Besitz zu Eigentum macht, wird suspendiert. Dadurch wird Eigentum als Eigentum nichtig. Denn durch den sozialen Akt der Gewährung ist Eigentum kernhaft definiert. Wenn man die Gewährung rückgängig macht, bleibt nur noch bloßer Besitz. Bloßer Besitz kann geraubt werden. Wenn jemand nur Besitzer einer Sache ist und nicht auch ihr Eigentümer, kann er sich zu dessen Sicherung nicht einmal auf das Menschenrecht berufen, in diesem Falle auf das Recht auf freie Güternutzung. Denn dieses Recht hätte auch der Räuber (s. mein Beitrag zum Eigentumsbegriff).
Besitz wird immer angefeindet werden – manchmal zurecht. Er erscheint Vielen als Raub aus einer ursprünglichen „Allmende“. Der Neid auf „unrechtmäßiges Eigentum“ (z. B. das der Reichen) basiert auf der schieren Verwechslung von Eigentum und Besitz. Die Eigentumsneider sehen nicht, dass Eigentum jener Besitz ist, der irgendwann einmal durch unsereins gewährtwurde, also in diesem Sinne „sozial“ ist. Wir sind es gewesen – in unserer Rolle als Kunden –, die das Eigentum eines Bill Gates bzw. eines Jeff Bezon geschaffen haben und damit auch deren Reichtum. Das haben wir freiwillig getan – über unsere Kaufentscheidungen. Daraus ist zu lernen: „Sozialfeindlichkeit“ von Eigentum kann es grundsätzlich nicht geben, und zwar schon deshalb nicht, weil es durch soziale Akte allererst entsteht. Nur Besitz entsteht durch pure Ich-Akte, nämlich durch ein reales Ergreifen und Besetzen von Sachen. Das tut z. B. der Räuber. Raub kann insofern zurecht „sozialfeindlich“ heißen. Aber Eigentum entsteht aufgrund einer Gewährung durch Andere, also durch einen sozialen Akt. Wir alle sind es, die aufgrund bestimmter Akte der Eigentumsübertragung (z. B. durch unsere Käufe) das Eigentum der Reichen (Gates und Bezon) vergrößern und sie damit reicher und reicher machen.
Der Artikel 14/2 steht in einem kompletten Widerspruch zu den ursprünglichen sozialen Akten der Eigentumsbildung (der Gewährung aus Schenkungen oder aus Verträgen), ist also im wahrsten Sinne des Wortes asozial. Mit ihm geschieht quasi der Rückversatz des Eigentums in bloße Allmende, also in die Form, aus der es ursprünglich entstanden war (s. Abschnitt B 1). Die Individualisierung der Allmende aufgrund von Gewährungen, die irgendwann vormals einmal stattgefunden hatte, wird negiert.
Was auch immer man aus der merkwürdigen Redewendung „Eigentum verpflichtet“ herauslesen mag, welche Folgen hat sie für die Eigentümer? – Nach Artikel 2/1 des „Grundgesetzes“ wird jedem Rechtssubjekt freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zugebilligt. Solche Entfaltung gelingt bekanntlich nur, wenn bestimmte Güter genutzt werden können, und das heißt in einer schlüssig-human organisierten Gesellschaft: Nutzung aufgrund gewährten Besitzes, also aufgrund von Eigentum.
Aber genau diese Gewährung und der damit verbundene Fremdnutzungsausschluss ist im deutschen Rechtskreis aufgrund von Artikel 14/2 des „Grundgesetzes“ aufgehoben. Der Besitz ist somit nur unter Vorbehalt für die Eigennutzung gewährt. Persönlicher Besitz ist hier kein echtes Eigentum und kann daher auch nicht wirklich unter Schutz stehen. Mit dem Wegfall der Gewährung entfällt der Eigentumscharakter eines Dinges. Damit erübrigt sich auch der Schutz der individuellen Nutzung des Dinges.
Der Eigentümer muss gewärtigen, dass er sogar mit dem Eigentum ersten Ranges, nämlich mit dem Eigentum an seinem Leib (Leibeigentum), verpflichtet ist, und zwar auch hier ohne jegliche Vertragsbasis. Nach Artikel 12a des „Grundgesetzes“ beispielsweise, in dem es um die Wehrpflicht geht, mutet man einer bestimmten Gruppe von Bürgern zu, ohne einschlägigen Vertragsabschluss ihren Leib (ihr Leibeigentum) zu opfern, falls es einmal ernst werden sollte. Denn mit dem Eigentum überhaupt ist auch das Eigentum der Person an ihrem Leib verpflichtet.
Wenn eine Gesellschaft sich einen Grundsatz wie den des verpflichtenden Eigentums ins Basisrecht schreiben lässt, kann sie das Eigentum ihrer Mitglieder nicht nachhaltig schützen, auch nicht das Leibeigentum, also das Eigentum eines jeden an seinem Körper. Jeder, der an das Eigentum von jemandem Anderen heranwill, allen voran die Obrigkeit, kann sich mit gutem Recht (genau so gut wie der Eigentümer mit seiner Berufung auf die Grundgesetzartikel 2/1 und 14/1, Satz 1) auf den Artikel 14/2 berufen.
Die Formel vom verpflichtenden Eigentum ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die sich von der Gesellschaft Eigentumsschutz erhoffen. Wem es gelingt, die politische Macht an sich zu reißen, kann das Eigentum seiner Mitbürger aufgrund einer solchen Formel ganz unbeeinträchtigt und legal unter seine Regie bringen. Dass dies nur in der edlen Absicht geschieht, das „Gemeinwohl“ zu fördern, wird von den Meisten für selbstverständlich gehalten.
Allerdings: „Das Gemeinwohl oder der öffentliche Nutzen ist bis zur Gegenwart ein Begriff geblieben, der sich gegen jede präzise Definition sträubt und deshalb beinahe jeden durch die Interessen der herrschenden Gruppe suggerierten Inhalt erhalten kann“ (Friedrich von Hayek, 1981 a). Die Rede vom „Gemeinwohl“ verdeckt eine andere, nämlich die wahre Interessenlage. „Wo der Staat vom Wohl der Gesamtheit spricht, da meint er nie tatsächlich das Wohl der Gesamtheit aller Einzelnen, sondern immer nur das Wohl eines Teils der Gesamtheit, das er auf Kosten des anderen Teils fördern will“ (Kurt Zube, 1977). Dieser „andere Teil“ kann sich trefflich hinter dem Begriff „Gemeinwohl“ verstecken. Nur Wenige erkennen, dass sich hinter dem Begriff „Gemeinwohl“ Sonderinteressen verbergen, die auf Privilegien aus sind. Der geistige Vater der französischen Revolution, Emmanuel de Sieyès, zieht diesen Sachverhalt schonungslos ans Licht: „Da liegt sie also am Tage, die geheime Gesinnung, die unmenschliche Begierde, der satte Dünkel, den ihr unter dem Schein des Gemeinwohls zu verbergen sucht“ (Nachdruck 1968).
Murray Rothbard (2012) sieht in dem Wortgebrauch „Gemeinwohl“ einen betrügerischen Akt, nämlich den Versuch, die Masse der „taxpayers“ von den wahren Nutznießern dieses „Wohls“, den „taxeaters“, abzulenken. Solches Verhalten sei nichts anderes als „verstecktes Banditentum“. Das ist – zugegeben – eine einigermaßen gehässige Sicht der Dinge. Sie wird aber genährt durch die Beobachtung vieler Abläufe in der Realität.
Wie auch immer, eines ist jedenfalls sicher: Vergemeinschaftung von Eigentum zerstört das eigentumskonstituierende soziale Prinzip der Gewährung und ist somit zutiefst asozial, auch wenn es noch so vehement für „sozial“ gehalten wird. Eigentum ist normalerweise persönliches. Eine „Gemein-Person“, die Nutzer des Gemeineigentums sein könnte, gibt es nicht. Man wird also bei der Deklaration von Volks-, Staats- oder Gemeineigentum stets nach bestimmten Personen als dessen Nutznießer fragen müssen, also nach denjenigen Egos, die reale Vorteile daraus ziehen. Auch wenn solche nicht unmittelbar erkennbar sein sollten, für jedes Eigentum gibt es Leute, die einen Nutzen davon haben, sei dieser Sachverhalt auch noch so verdeckt und seien die wahren Eigentumsverhältnisse noch so verschleiert.
Spätestens nach dem Ableben der Weimarer Verfassung (1945) hätten die Deutschen wissen können, welche Cliquen mit ihrem Anhang nie Skrupel gehabt haben und auch in Zukunft nicht haben werden, als Darmflora in den Verdauungstrakt der Lebewesen „Volk“, „Gemeinschaft“ oder „Allgemeinheit“ hineinzuschlüpfen. Nutznießer des „Gemeinwohls“ ist stets eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe. In heutigen Gesellschaften sind das vor allem die Mitglieder und Günstlinge der politischen Klasse. Die sind nach Auffassung des ehemaligen Bundesparlamentariers Ulrich Lohmar eine Art Gewerbetreibende, die in erster Linie ihr eigenes Wohl im Auge haben (1978; s. auch Hans Herbert von Arnim, 2017). Sie verteilen den Nießbrauch des „Gemeineigentums“ nach eigenem Gutdünken und gehen im Übrigen verschwenderisch damit um (s. Aufklärungsprotokolle Bd. 2 und Bd. 4).
Wenn es Pflichten des Einzelnen gegenüber „der“ Gemeinschaft gibt, bedeutet das logischerweise, dass „die“ Gemeinschaft Rechte jedem Einzelnen gegenüber hat (s. der Verf. 2021a). Wenn es aber keine Rechte und Pflichten außerhalb des Entscheidungsbereiches von real existierenden Personen gibt, heißt das, dass es auch keine Rechte und Pflichten geben kann, die nicht auf bestimmte Personen gerichtet sind. Das Abstraktum „Allgemeinheit“ kann also gar keine Rechte geltend machen. Diese Erkenntnis ist wichtig. Denn ihr zufolge macht sich jeder, der „Pflichten gegenüber der Allgemeinheit“, „Rechte des Volkes“, „Gemeinwohl“ oder Ähnliches proklamiert, zumindest verdächtig.
„Recht ist, was dem deutschen Volke nützt“, konnte der NS-Justizminister und radikale Gemeinschaftsideologe Wilhelm Frick den deutschen Juristen auf dem Leipziger Juristentag 1933 zurufen, ohne damit Anstoß zu erregen. Damit hat er ganz im Sinne der seinerzeit gültigen Weimarer Verfassung gesprochen – und somit auch im Sinne des „Grundgesetzes“. Wem dieses „dem Volke nützliche Recht“ dann wirklich genutzt hat, sollten die Deutschen, vor allem ihre jüdischen Mitbürger, bald danach zu spüren bekommen.
Die Pflichten des Eigentums der Gemeinschaft gegenüber wurden nicht nur in Deutschland, sondern weltweit als für so wichtig erachtet, dass man sie in die Menschenrechts-Charta der UNO mit aufnahm (die ihrem Titel gemäß eigentlich keine Pflichten, sondern nur Rechte enthalten sollte!). Welche dem Eigentum angeblich innewohnenden Pflichten konkret gemeint sein könnten und wer dadurch Rechte erhält, bleibt auch dort im Dunkeln.
Persönliches Eigentum mag es in Deutschland wohl geben, aber nur gnadenhalber. Das Eigentumsrecht ist hier „nur provisorisch gültig und kann entsprechend der Einschätzung des Verwalters [dem Staat] hinsichtlich der Notwendigkeiten ‚öffentlicher Sicherheiten’ und ‚sozialer Absicherung’ einseitig geändert werden“ (Hans-Hermann Hoppe, 2004).
Viele Gesetze in der deutschen Gesellschaft, die sich auf die Beschränkung und Schmälerung des persönlichen Eigentums beziehen, basieren auf der knappen Formel vom verpflichtenden Eigentum. Daraus erwächst ein erheblicher Konflikt. Denn sowohl der Artikel 14/2 als auch die Artikel 2/1 (Persönlichkeitsrechte) und 14/1/Satz 1 (Eigentumsgarantie) des „Grundgesetzes“ können zu ihrer Durchsetzung Gewalt beanspruchen. Die Gewalt, die hinter dem Artikel 14/2 steht, war im Ernstfall stets größer als jene, die zur Durchsetzung der Artikel 2/1 und Artikel 14/1/Satz 1 verhelfen sollte. Es gibt also in einem solchen Fall gar keine Macht, das Recht, das diese Artikel gewähren, gegen den Zwang der Enteignung zu schützen und zu verteidigen.
Die Forderung „Eigentum verpflichtet“ lässt sich nur mit Zwang und Gewalt durchsetzen. An Zwang und Gewalt denkt natürlich kein Mensch, wenn er den harmlos anmutenden Satz „Eigentum verpflichtet“ liest. Denn der scheint auf´s erste recht Vernünftiges auszusagen. Außerdem hört er sich in dieser personunabhängigen Form so an, als sei das Eigentum aus sich selbst heraus das Verpflichtete und nicht der Eigentümer.
Ein Enteignungszwang ist manchmal legitim, z. B. bei der Schadensbereinigung infolge von Verbrechen (s. der Verf. 2021a). Der Artikel 14/2 aber gestattet Zwangsenteignungen auch dort, wo ein solcher Tatbestand nicht vorliegt. Er deklariert gewissermaßen den Eigentümer qua Eigentümer schon zum Verbrecher. Nur infolge von Geschenkabsichten und von Verträgen finden Eigentumsübertragungen gewaltfrei statt. Bei anders zustande gekommenen Eigentümerwechseln ist stets eine zwingende Macht erforderlich.
Sofern der Artikel 14/2 die größere Macht gegen die Artikel 2/1 und 14/1 Satz 1 ausspielen kann, ist die Obrigkeit als Miteigentümerin aufgrund ihres Gewaltmonopols eigentlich die Haupteigentümerin des Privateigentums. Sie ist es nicht nur deshalb, weil sie das Eigentum von Bürgern je nach Gutdünken (z. B. in Form der „Besteuerung“ oder eines „Lastenausgleichs“) vereinnahmen kann. Sie ist es auch deshalb, weil sie den Eigentumsentzug gegen die Eigentümer mit Gewalt durchpauken kann. Insofern gibt es in der heutigen deutschen Gesellschaft kein Privateigentum im strengen Sinne. Es ist stets mehr oder weniger in der Hand des Staates.
Selbst der reichste Bürger Deutschlands muss sich, sollte er sich einen Moment der Besinnung gönnen, vorkommen wie ein Hund, der ein Stück Kette mit sich herumschleppt. Überall wird an seinem Eigentum herumgemacht, beim Erwerb, beim Genuss, beim Verkauf. Noch nicht einmal beim Verschenken (z. B. beim Vererben) dürfen die Bürger über ihr Eigentum frei verfügen. Echtes Eigentum in dem Sinne, dass der Eigentümer damit nach Belieben schalten und walten kann (natürlich immer in den Schranken, die ihm der Eigentumsschutz der Anderen und der Naturschutz setzen) gibt es in Deutschland nicht. Außerhalb Deutschlands ist die Rechtslage ähnlich.
So wie früher ist auch heute die Obrigkeit hinsichtlich des persönlichen Eigentums eine Art Billigkeitsinstanz. Sie kennt Privateigentum nur als bedingtes und erkennt es nur als solches an. Das persönliche Eigentum gehört zu ihren Verfügungsrechten. Insofern kann man an der Struktur eines Rechtssystems, das auf dem „Grundgesetz“ und seinem Artikel 14.2 basiert, die Struktur des mittelalterlichen Lehensrechts erkennen. Denn ein Eigentum, über das eine Obrigkeit gebietet, ist nichts anderes als Lehenseigentum.
Da die Verfassungsschöpfer den Bürgern vorenthalten, welche Pflichten konkret ihr Eigentum belasten sollen, dürfen ihre Adepten nun von Fall zu Fall entscheiden, welchen Anteil davon sie requirieren wollen. Das hat dazu geführt, dass nicht nur die Anzahl der Pflichten, die das Eigentum belasten, jährlich wächst, sondern auch ihr Umfang. Der Staat mutiert zum „enteignenden Eigentumsschützer“ (Hans Hermann Hoppe, a. a. O.).
Gern wird, um die Rede vom verpflichteten Eigentum zu rechtfertigen – das Argument des Eigentumsmissbrauchs in Stellung gebracht. Ein Missbrauchs-Problem in Bezug auf Eigentum (auch auf den eigenen Körper – etwa durch Drogenkonsum) stellt sich nur, wenn der Eigentümer Andere damit schädigt. Jede weitergehende Auslegung des Wortes „Missbrauch“ im Zusammenhang mit Eigentum gerät in Widerspruch zu dessen Definition (die übrigens auch den menschlichen Körper, also das Leibeigentum einschließt).
Selbst kuriose Inspirationen brütet der Satz vom verpflichteten Eigentum aus. Die Wochenschrift SPIEGEL (7/2013) führt uns in dem Beitrag „DGB attackiert Börsenberichte“ vor, wie der Eigentumsartikel des „Grundgesetzes“ auch interpretiert werden kann. In dem Beitrag zitiert das Blatt den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes-Nord, Uwe Polkaehn. Nach Polkaehn orientierten sich die Börsenberichte des Fernsehsenders ARD zu wenig „an dem Gebot des Grundgesetzes Eigentum verpflichtet“. Er sieht diese Berichte daher „am Rande zur Schleichwerbung für Analysten und Spekulanten“. Das ARD-Fernsehen solle doch bittschön damit aufhören, Börsenberichte zu senden.
Wie unerschütterlich die Mentalität der unentgeltlichen Teilhabe an fremdem Eigentum nicht nur bei den Bürgern an der Basis, sondern auch bei den Eliten der Gesellschaft verwurzelt ist, zeigt ebenfalls eine Notiz aus dem SPIEGEL: „Raucher und Trinker haben in Bundeskanzler Helmut Kohl einen mächtigen Verbündeten gefunden. Er lehnt Pläne von Gesundheitsminister Horst Seehofer… ab, Nikotin- und Alkoholkonsumenten mehr Krankenversicherungsbeiträge zahlen zu lassen. Eine derartige ‘Sündensteuer’ werde es mit ihm nicht geben.“ – Mit idiotischerer Selbstgefälligkeit kann die Vernichtung der Eigenverantwortung und der Appell an die „Solidarität“ nicht zu Markte getragen werden.
Bei all dem ist immerhin Folgendes zu bedenken: Es könnte ja sein, dass sich hinter der Festschreibung des „verpflichteten Eigentums“ ausgesprochen philanthropische Motive verbergen: „Wir Menschen sind doch alle Brüder. So sollten wir uns auch eigentumsmäßig brüderlich zueinander verhalten.“ (Dass man schon zu Zeiten von Kain und Abel kein rechtes Vertrauen in die Brüderlichkeit setzen konnte, übergehen wir jetzt einmal.) Also: „Die reichen Eigentümer müssen den armen von ihrem Eigentum abgeben“. Ideal wäre, wenn wir alle miteinander arm sind. Damit hätten auch die Reichen eine Chance, die sonst nur Arme haben, nämlich in den Himmel zu kommen. Denn das wissen wir doch aus dem Buch der Bücher: Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in den Himmel.
Das Anliegen der Verfassungsschöpfer muss man also gar nicht so sehr darin sehen, dass den Reichen Eigentum abgetrotzt wird, sondern vielmehr in der ihnen gebotenen Chance, arm wie die anderen und deshalb himmelstauglich zu sein. Und damit auch Jeder für den heiligen Aufstieg gewappnet ist, muss man sein Eigentum gemeinwohlverpflichten. Ulrike Ackermann liegt nicht falsch, wenn sie in heutigen Rechtsgemeinschaften semireligiöse Gebilde erblickt (2008).
Fazit: Die Sentenz vom verpflichtenden Eigentum steht dem Naturrecht der Freiheit komplett entgegen. Die Formel „Eigentum verpflichtet“ ist eine der unsäglichsten Verballhornungen des Rechtswesens. Konkrete Rechtstitel werden entleert. Es bleibt nur ein formaler Rechtsanspruch. Mit der Formel vom verpflichteten Eigentum ist jede Enteignung zu begründen. Sie trägt Elemente in das Rechtsleben hinein, die es auf das Niveau des Faustrechts zurückwerfen. In einer schlüssig-human organisierten Gesellschaft sind immer nur Personen verpflichtet und nicht irgendein Eigentum. Sie verpflichten sich aufgrund freiwilliger Schenkungen oder freiwillig abgeschlossener Verträge. Wo Eigentum auf andere Weise geopfert wird, im schlimmsten Fall das Leibeigentum (wie bei der Militärpflicht), da herrschen – wenn auch bis zur Unsichtbarkeit verschleiert – tyrannische Verhältnisse.
Zitierte Literatur:
Ackermann, Ulrike, Eros der Freiheit, Stuttgart 2008
Eckardt, Dietrich, Persönlichkeitsbildung in Freiheit – Eine Alternative zum heutigen Bildungsbetrieb, Berlin 2021
Eckardt, Dietrich, Das Recht und seine Verfälschung, Berlin 2021a
GG = Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, München 1998
Hayek, Friedrich August von, Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, Landsberg/Lech 1981
Herzinger, Richard, Die Tyrannei des Gemeinsinns, 1997
Hoppe, Hans-Hermann, Demokratie – Der Gott, der keiner ist, Leipzig 2004
Radbruch, Gustav, Rechtsphilosophie, Stuttgart 1970
Rothbard, Murray Newton., Für eine neue Freiheit – Kritik der politischen Gewalt, 2 Bände, Hrsg. Stefan Blankertz, Berlin 2012
Sieyès, Emanuel Joseph, Was ist der Dritte Stand? (Hrsg. Rolf Helmut Foerster) Frankfurt/M. 1968
SPIEGEL, Wochenmagazin, Hamburg, Jahrgänge 1949 ff
Tönnies, Ferdinand, Das Eigentum, Leipzig 1926
Zube, Kurt alias Solneman, Karl Heinz, Das Manifest der Freiheit und des Friedens, Freiburg 1977