Robert Nef (robertnef@bluewin.ch; www. robert-nef.ch)
Hartnäckig hält sich die Vorstellung, dass in einer endlichen Welt mit begrenzten materiellen Ressourcen auch die ökonomischen Möglichkeiten zur Arbeitsteilung und zum Tausch begrenzt sein müssen. Wirtschaft ist aus dieser Sicht ein Nullsummenspiel, bei dem sich die Reichen und Rücksichtslosen auf Kosten der Armen und Wehrlosen bereichern und dadurch immer mehr Spannungen erzeugen, die nur durch die Staatsgewalt so gebändigt werden können, dass sozialer Friede möglich wird. Diese sozialistisch-materialistische Vorstellung lässt ausser Acht, dass es nicht nur materielle Güter gibt, um die ein permanenter Verteilungskampf um die Teilung und Umverteilung der Welt tobt.
In Schillers Gedicht „Die Teilung der Erde“ erscheint der Dichter, der geistige Produzent, in dem Moment vor Zeus, als dieser die materielle Welt bereits «weggegeben» hatte. Er kommt – auf den ersten Blick – bei der Verteilung der Erwerbsmöglichkeiten zu spät, aber er geht trotzdem nicht leer aus. Er darf, nachdem die materielle Welt verteilt ist, am göttlichen Bereich der Ideen und Ideale partizipieren und selbst schöpferisch sein. Die Dichter erhalten als Betätigungsfeld den unendlichen Himmel des Geistes, der Schönheit und der Wahrheit zugewiesen, der jenseits der begrenzten materiellen Welt liegt. Ist das nun die „Strafe des Lebens“ für die Zu-spät-Gekommenen?
Ist das kulturelle Schaffen als Dienstleistung, die sich um Wahrheit, Schönheit und Lebensqualität kümmert, dazu verdammt, für immer „brotlose Kunst“ zu bleiben, oder ist schöpferisches Tun (poiesis) in materiell einigermassen gesättigten Gesellschaften auch ökonomisch zunehmend interessant? Schiller hat das wohl vorausgeahnt, und er hat sich in seinem kurzen Leben nicht ohne Erfolg auch um die Nutzung seiner eigenen Urheberrechte gekümmert. Er ist mit seinem Bestreben, beim Übergang vom Feudalismus zum Bürgertum als frei schaffender Künstler-Unternehmer zu überleben, eher ein „Zu- früh-Gekommener“ als ein Nachläufer des Feudalismus. Seine Witwe und seine Familie haben seinen dichterischen Nachlass verwertet und sie blieben weder ausschliesslich auf „milde Gaben“ von Freunden und Gönnern, noch auf einen – damals noch inexistenten – Sozialstaat angewiesen.
Poesie im weitesten Sinn des schöpferischen Tuns ist ihrem Wesen nach unendlich, darum bleiben jene Voraussagen, der Arbeitsgesellschaft gehe aufgrund der technologischen Entwicklung früher oder später die Arbeit aus, einem industriebezogenen Weltbild verhaftet, das Arbeit in erster Linie als Produktion von Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern kennt und nicht als schöpferisches Tun und als Dienstleistung zur generellen Verbesserung der Lebensqualität und zur Verschönerung und Bereicherung des Lebens. Der im Schweizerdeutschen und auch im Schwäbischen anstelle von „arbeiten“ gebräuchliche Begriff „schaffe“ zeigt die zukunftsträchtige Dimension einer auch auf Dienstleistungen ausgerichteten Wirtschaft, die übrigens auch umweltverträglicher ist als eine permanent gesteigerte Produktion materieller Güter. Weder der Roboter noch der Computer können in diesem Sinn „schaffen“ und schöpferisches Tun ersetzen.
Wer also keine klare Trennlinie zieht, zwischen dem, was heute „ökonomisches Subsystem“ und dem, was „sozio-kulturelles Subsystem“ genannt wird, gewinnt mehr neue übergeordnete Gesichtspunkte als er an Unterscheidungsmerkmalen verliert. Nicht nur der Tausch von Gütern und Dienstleistungen ist Ökonomie, sondern der Tausch jeglicher Information, ja die menschliche Kommunikation schlechthin, kann unter dem Gesichtspunkt des Austauschs (Katallaxis) gedeutet werden. Mit dieser Ausweitung des Ökonomiebegriffs sind allerdings auch Gefahren verbunden. Man kann damit ein verhängnisvolles Missverständnis heraufbeschwören: Die materielle Verwirtschaftlichung des gesamten Lebens.
Wenn die ganze Welt nur noch auf Ökonomie in einem engeren Sinn beruht, und letztlich sämtliche Handlungen auf ökonomisches Kalkül und auf reines Nützlichkeitsdenken reduziert werden, bleibt kein Platz mehr für ideelle Werte. Der liberale Ökonom Wilhelm Röpke hat das Streben nach solchen Idealen „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ angesiedelt und vor Denkmodellen gewarnt, die alle denkbaren Arten der Kommunikation als Tauschprozesse deuten. Es gibt aber –spätestens seit Schiller – gute Gründe, das Bemühen um mehr Wahrheit, mehr Schönheit und mehr Lebensqualität nicht aus dem Bereich der Ökonomie im weitesten und besten Sinn auszuschliessen. Sie ist ein durchaus lohnenswertes Haushalten auf der Basis des fremdherrschaftsfreien Tauschs jenseits des Primats der Politik.