Dietrich Eckardt (www.dietrich-eckardt.com; diteck@t-online.de)
Das Naturrecht des Menschen („Menschenrecht“) geht auf einen einzigen Grundsatz zurück: Alle Menschen haben das gleiche Recht auf freie Lebensentfaltung. Aus diesem Satz lassen sich per Subsumtion alle Freiheitsrechte ableiten.
Bei der Zwischenschaltung der Prämisse „Lebensentfaltung impliziert Sachennutzung“ entsteht daraus auch der Satz: Alle Menschen haben das gleiche Recht auf freie Sachennutzung.Ich verwende im Folgenden oft anstelle des Begriffs „Sache“ („Sachen“) den aus der Wirtschaftslehre her gewohnten Begriff „Gut“ (bzw. „Güter“; s. Aufklärungsprotokolle Bd. 2). Dann lautet der Satz: Alle Menschen haben das gleiche Recht auf freie Güternutzung. Aufgrund des Rechts auf freie Güternutzung kann jedes Ich zunächst einmal alle Güter dieser Welt für sich beanspruchen. Keiner hat ein größeres Anrecht z. B. auf einen Flecken Erde als irgendein anderer. Insofern stellen die Güter in ihrer Gesamtheit so etwas wie Allmende dar.
Nun wird die Nutzung der Allmende bedroht durch einen Umstand, der gleichfalls im Naturrecht des Menschen begründet ist. Denn dieses „Recht“ setzt der Ausdehnung eines einzelnen Ich im Universum keine Grenzen. So ist jedes Ich, das auf eine möglichst umfängliche freie Lebensentfaltung aus ist, bestrebt, so viel Allmende wie möglich zu besetzen und sich zur Selbstnutzung einzuverleiben. In diesem Bestreben steht es gegen alle anderen. Der Kampf um die Güter ist von Beginn an, und zwar infolge des Menschenrechts(!), vorprogrammiert.
Mit dem Recht auf freie Güternutzung können die Menschen nur dort gut leben, wo die die Güter nicht knapp sind, etwa im Paradies. Aber „in der Welt außerhalb des Paradieses, also in der Welt, in der wir real existieren, sind Güter knapp“ (Norbert Walter, 1995), jedenfalls die meisten von ihnen. Die Knappheit in unserer realen Welt bedingt, dass Jeder nur solche Güter uneingeschränkt nutzen kann, die nicht knapp sind, z. B. die Luft oder das Ozeanwasser. Diesen Sachverhalt bestreitet auch niemand. Aber die vernunftgerechten Folgerungen daraus für die friedliche Existenz einer Menschengesellschaft zu ziehen, fällt Vielen schwer.
Um an diesem Punkt weiter zu kommen, fingieren wir eine Situation ohne Güterknappheit: Robinson allein auf der Insel. Robinson nutzt die Güter seiner Umgebungvon Anderen völlig unbehelligt. Solange er der einzige Mensch auf der Insel ist, wird ihm die Güternutzung nur durch die dort mitlebenden Tiere streitig gemacht. Nehmen wir an, er ist das stärkste Tier auf der Insel, dann ist er prinzipiell frei in der Nutzung der Dinge, die auf der Insel zu finden sind. Mit anderen Worten: Robinson hat die Dinge allein besetzt und damit die alleinige Macht über sie. Ob Robinson den Begriff „Besitz“ schon hat oder nicht – eher nicht -, so ist er doch in unseren Augen ein Besitzer. Als solcher verfügt er völlig frei über die Ressourcen der Insel.
Die Situation ändert sich, sobald andere Menschen von der Insel, ihrem Reichtum und ihrer Schönheit erfahren und dort anlanden. Schon sobald sie nur einen Fuß auf die Insel setzen, haben sie diese ebenfalls besetzt. Das kann ihnen niemand verwehren. Denn nicht nur Robinson, sondern auch andere können das „gleiche Recht auf freie Güternutzung“ für sich in Anspruch nehmen. Robinson hält allein etwas besetzt, was nach diesem „Recht“ eigentlich für alle da ist (als Allmende; s. o.).
Nach der Anlandung der Anderen auf der Insel erwarten Robinson folgende Schicksale: 1. Er besiegt sie und vertreibt sie von der Insel. 2. Er wird besiegt. Dann ergeben sich die Alternativen: 2a) Er wird getötet, d. h. er verliert seinen gesamten Besitz, auch den an seinem Leib; 2b) Er gerät in die Sklaverei, d. h. man lässt ihn leben, aber über dieses Leben verfügen Andere, und zwar genauso, wie sie über den Besitz von irgendwelchen toten Dingen verfügen. Alles was Robinson hat, auch sein Leib, geht in den Besitz anderer über; 2c) Man erkennt seinen bisherigen Besitz in Teilen oder im ganzen als den seinen an.
Im Fall 2c kommt das Gewähren ins Spiel und damit zugleich das Dürfen. Robinson darf seinen bisherigen Besitz (für die Anderen zunächst nichts als Allmende!) oder einen Teil davon allein nutzen. Die Anderen, die gemäß Menschenrecht gleichfalls ein Anrecht auf die Nutzung hätten, gestatten es ihm und verzichten auf Übergriffe. Ohne diese Gewähr hätte der nunmehr vergesellschaftete Robinson keine Chance, seinen Besitz zu behalten, noch nicht einmal den Besitz an seinem Leib. Der Hineingang des Robinson in die Gesellschaft und seine weitere Existenz dort basiert also auf dem Akt einer Gewährung. Durch diesen Akt wird der Besitz erst eigentlich zu seinem. Der Besitz wird – wie wir dann sagen – zum Eigentum.
Zum Eigentum wird bloßer Besitz also durch einen sozialen Akt, nämlich die Gewährung, die ein Nutzendürfen erst ermöglicht. Das Gewähren einerseits und das Dürfen andererseits sind die beiden Pole, die Besitz zu Eigentum machen. Im Unterschied zum Naturrecht ist Eigentum das für ein bestimmtes Individuum gesellschaftlich gesetzte Recht, einen Teil der Allmende allein zu nutzen. Ohne dieses Recht ist die Welt für die Menschen nichts als eine riesige Allmende. Und das Bestreben jedes Einzelnen nach möglichst großer Lebensentfaltung kollidiert mit dem gleichen Bestreben der Anderen (Thomas Hobbes, Nachdruck 2013). Das führt am Ende zum Alleinbesitz der gesamten Welt durch einen oder mehrere Einzelne. Dafür braucht es keine Gewährung, sondern nur hinreichend große Macht und Gewalt.
Die Nutzung persönlichen Eigentums schließt ein, dass es aufgrund individueller Entscheidung verschenkt, vertauscht oder auch vernichtet werden kann. Sie schließt z. B. auch ein, dass es durch Arbeit verändert werden kann. Die Tradition unterschied verschiedene Aspekte der Eigentumsnutzung: usus – das Recht zur Nutzung einer Sache überhaupt, usus fructus.- das Recht zur Nutzung der Erträge einer Sache, usus venditio – das Recht zur Veräußerung der Sache und abusus – das Recht zur Veränderung der Sache (Rainer Kirchdörfer u. a., 2018). Eine besondere Form der Veränderung einer Sache (abusus) ist Arbeit. Arbeit schafft also kein Eigentum. Sie setzt Eigentum voraus!Nicht die an einer Sache verrichtete Arbeit ist die Voraussetzung für Eigentum, wie die früheren Wirtschafts- und Rechtslehren meinten (klassisch wurden die des John Locke, Nachdruck 1977 und die des Jean-Jaques Rousseau, Nachdruck 2011),sondern umgekehrt: Eigentum ist Möglichkeitsbedingung für die an der Sache vorzunehmende Arbeit. Denn nur an meinem Eigentum gestatten mir die Anderen, beliebige Veränderungen vorzunehmen.
Arbeit dient nicht zur Schaffung, sondern höchstens zur Aufwertung von Eigentum. Arbeit ist eine der Vorbedingungen, einen sogenannten Mehrwert bei den Sachen zu erzeugen. Aber ob dadurch Mehrwert wirklich erzielt werden kann, bestimmt nicht der Arbeitende, sondern der Markt. Das durch Arbeit veredelte Eigentum kann (muss aber nicht!) am Markt einen höheren Preis erzielen als das rohe. Das bedeutet: Erst durch den Tausch am Markt – also durch eine Gewährung – wächst dem bearbeiteten Eigentum Mehrwert zu. Ein Wertzuwachs beim Eigentum kommt also durch die Wertschätzung der Anderenzustande und nicht durch den Arbeitenden selbst. Ohne diese Wertschätzung gibt es keinen „Mehrwert“, sei in die Sache auch noch so viel Mühe investiert worden. – Der Mehrwert schlägt sich nieder im Preis. Ist der durch Arbeit angestrebte Wertzuwachs (die Preisdifferenz) eines Eigentums am Markt nicht erzielbar, war die Arbeit umsonst gewesen.
Dem heutigen Allgemeinbewusstsein ist gänzlich abhandengekommen, dass individuelles Eigentum etwas aus der Allmende heraus sozial Gewährtes ist und keine durch Eroberung, bloße Besetzung oder Bearbeitung erfolgte Errungenschaft, die vielleicht vor langer Zeit durch Vorfahren einmal stattgefunden hat. Der Besitz z. B. eines neu entdeckten, bloß geraubten oder eroberten Landes ist daher immer in Gefahr, für „illegal“ erklärt und rückgängig gemacht zu werden.
Bei einer Besetzung von Sachen kann es sich um die Besitznahme eines bisher unbekannten Stücks Natur handeln. Sofern dieses Stück noch niemandes Eigentum ist, ist es aufgrund des Menschenrechts über die Sachennutzung (s. o.) auch nach seiner Entdeckung und Besetzung durch ein Individuum immer noch für alle da, ist also Allmende. Und es bleibt Allmende, solange kein Eigentum daraus wird. Auf unserer Erde gibt es kaum ein Stück, das noch als Allmende existiert.
Der hier verwendete Begriff „Allmende“ unterscheidet sich wesentlich von Begriffen wie „Gemeineigentum“, „Kollektivbesitz“ usw. Er bezeichnet das natürliche Gegenüber des allgemeinen Wir, also der „Menschheit“ (s. Protokolle Bd. 1, Anhang 1). Es handelt sich insofern um einen präjuridischen Begriff. Der Begriff wird hier lediglich als Abstraktum Verwendung finden können, als Didaktikum sozusagen, um die Phänomene „Besitz“ und „Eigentum“ zu erläutern und klar voneinander abzugrenzen.
Aus der Robinson-Fiktion ist zu lernen: Eigentum erhält seinen Sinn erst aufgrund und im Zuge der Vergesellschaftung von Menschen. Ein einzelner Mensch kann sich selbst nicht das schaffen, was wir Eigentum nennen. Die Anderen wirken mit – durch ihren Verzicht auf einen Teil der Allmende und dessen Hergabe zur alleinigen Nutzung an ein Individuum. Durch die Eigentumsgewährung wird die Allmende individualisiert. Ohne Individualisierung bleibt eine Sache bloßer Besitz. Dann aber wäre eine Sachennutzung prinzipiell durch alle rechtens – jedenfalls dem oben formulierten Naturrechtsgrundsatz gemäß.
Auch wenn ich beginne, irgendwo in der Wildnis zu wirtschaften und mir dort Besitz zu schaffen, sind es immer die Anderen, die dies dulden – aus welchen Gründen auch immer. Die Akzeptanz meines Besitzes durch andere ist die Voraussetzung dafür, dass ich ihn als mein Eigentum verbuchen kann.
Der Eigentumsbegriff offenbart, dass ein in Gesellschaft lebender Mensch in keiner rein individuellen Beziehung zu den Sachen steht. Denn in dieser Beziehung ist zugleich eine Beziehung zu den Anderen mitgegeben. Die Eigentumsbeziehung ist zwar eine Beziehung, die mit der Nutzung eines Individuums zu tun hat. Im Kern ist sie aber eine soziale Beziehung. Die Welt ist ursprünglich für alle da. Niemand hat von Natur aus Privateigentum (John Locke, Nachdruck 1977).
Erst die Gesellschaft macht, dass sich ein Mein von einem Dein abgrenzen kann. Dann ist die Frage: wessen Eigentum? nur immer mit Mein oder Dein zu beantworten (Immanuel Kant). Mein und Dein schließen einander aus. Selbst beim sogenannten „Gemeinschaftseigentum“ ist eine beurkundete Separation der Nutzung vorgesehen, z. B. bei getrennten Wohnungen in einem gemeinsamen Haus. So lässt sich sagen:
Eigentum ist gewährter Besitz. Innerhalb schlüssig-human organisierter Gesellschaften ist die Gewährung die Möglichkeitsbedingung für dessen individuelle Nutzung.
Diese Aussage umfasst das Eigentum am eigenen Leib – das Leibeigentum. Viele machen sich nicht klar, dass auch das Leibeigentum ein gewährtes ist, gewährt durch Geburt (der Mensch wurde geboren, heißt es ja) und durch das Amlebengelassen- und Versorgtwerden. Zunächst hat das Ich seinen Körper nur besetzt. Dass dieser zu Eigentum wird, bewirken andere.
Besitz ist ein individuelles, Eigentum ein soziales Phänomen. Die „soziale Bindung“ des Eigentums, von der so oft die Rede ist, hat also einen ganz anderen, nämlich viel ursprünglicheren Sinn als gewöhnlich angenommen. Ohne das „Soziale“ ist Eigentum gar kein Eigentum, sondern bloßer Besitz. Erst durch die Gewährung der Anderen wird Besitz zu Eigentum. Ob es dann noch eine zusätzliche „soziale Bindung“ für das Eigentums gibt, wie kommunistisch inspirierte Ideologen behaupten, muss anderwärts diskutiert werden.
Der Rechtstheoretiker Gustaf Radbruch spricht vom Eigentum als von einer „apriorischen Rechtskategorie“. Eigentum sei die „vorausgehende Kategorie rechtlichen Denkens… eine für die rechtliche Betrachtung unentbehrliche Denkform“ (1970; s. auch Adolf Reinach,1953). Dieser Auffassung kann sich eine freisinnige Rechtslehre anschließen.
Die Gewährung eines Besitzes kann einseitig sein. Dann sprechen wir von einem Geschenk. Sie kann aber auch zweiseitig sein – als gegenseitige Gewährung. Dann sprechen wir von einem Vertrag. Ein Vertrag setzt Übereinstimmung voraus. Das hat Folgen für sein Zustandekommen. Außerhalb des Monopolismus erwächst er immer aus einem Kompromiss.
Durch die Institution Eigentum wird das Naturrecht des Menschen (zur unbegrenzt freien Sachennutzung; s. o.) zum Recht der Nutzung bestimmter Sachen, nämlich jener, die sich im Eigentum befinden. Das erfordert eine Modifikation des oben ausgesagten, auf die Sachennutzung allgemeinbezogenen Menschenrechts. Man muss den Begriff „Sachennutzung“ ersetzen durch den Begriff „Eigentumsnutzung“. Dann lautet er:
Alle Menschen haben das gleiche Recht auf freie Eigentumsnutzung.
Von der oft gebrauchten Formulierung „Recht auf Eigentum“ sehe ich ab, weil sie zu ungenau ist. Denn ein wie auch immer ins Spiel gebrachtes Sachennutzungsrecht muss auch die geliehenen, gemieteten oder gepachteten Sachen umfassen. Es gestattet in solchen Fällen nur den Besitz und dessen Nutzung, belässt das Eigentum aber beim Nutzungsbieter.
Dadurch, dass in die Sachennutzung der Eigentumsbegriff einfließt, erhält das Recht auf freie Sachennutzung eine künstliche Komponente. Denn aus der Natur lässt sich der Eigentumsbegriff nicht schöpfen. Das Recht auf Nutzung von Eigentum ist insofern nicht nur Naturrecht, sondern zugleich auch Kunstrecht, d. h. menschliches Machwerk. Es ist der Berührungspunkt zwischen Natur und Kunst. Als solches ist es der Quell, aus dem unser gesetztes („statuiertes“) Recht als gesonderter sozialer Bereich aus der Ökonomie herausfließt. Das Recht bleibt der Ökonomie aber auch danach noch eng verbunden. „Das rechtlich relevante Geschehen, wo es sich realisiert, tritt uns innig verwoben mit anderen, außerrechtlichen Vorgängen entgegen“ (Adolf Reinach, a. a. O.). Wenn wir gewöhnlich von „Recht“ sprechen, nämlich in Sinne des Statuarischen Rechts, meinen wir das Recht auf irgendeine Eigentumsnutzung. Der oben formulierte Grundsatz über die Eigentumsnutzung ist die Basisfür das Statuarische Recht. Das Ziel einer freien Rechtsgemeinschaft ist, dem Satz über die freie Eigentumsnutzung überall Geltung zu verschaffen – umwillen eines friedlichen Miteinander.
Das Besitzen (Besetzthaben) einer Sache ist eine physische Angelegenheit. Besitz ist eine Machtrelation zwischen Person und Sache. Er begründet die körperliche Herrschaft über die Sache. Das Gewähren der Sachennutzung hingegen, also das Schaffen von Eigentum, ist ein geistiger (nichtphysischer, bzw. meta-physischer) Akt. Durch das Gewähren wird dem (physischen) Besitz eine meta-physische Komponente beigemischt. Erst durch diese Komponente wird Besitz zu Eigentum. Das Gewähren ist vom Eigentum nicht wegzudenken.
Beim Eigentum kommen also beide Aspekte des Ich – der physische und der meta-physische – ins Spiel (s. der Verf. 2021, Anhang 1). Eigentum ist ohne die meta-physische Komponente nicht denkbar, vor allem nicht das Eigentum einer Person an ihrem Leib (Leibeigentum). John Lockes Self-Ownership ist nur dann keine Tautologie, wenn – wie bei Immanuel Kant – die Dualität des Ich vorausgesetzt wird.
Bei einem Gütertausch beispielsweise wechselt der Besitz oder, z. B. beim Immobilientausch, der Besitzer. Gleiches geschieht beim Raub oder bei einer nicht abgesprochenen (etwa Haus-) Besetzung. Der Unterschied zwischen Tausch und Raub/Besetzung ist: Bei einem Tausch (bzw. Kauf) wechselt nicht nur der Besitz, sondern auch das Eigentum. Ein Räuber kann nur den Besitz, nicht aber das Eigentum an sich reißen. Denn Eigentum ist nichts „Materielles“. Es ist dem Eigentümer „immateriell“ gewährt, und zwar von irgendwelchen Anderen. Der Räuber stellt sich mit dem Raub gegen diese Gewährung. Da das Gewähren ein sozialer Akt ist, handelt der Räuber im wahrsten Sinne des Wortes asozial.
So etwas wie „Eigentumsraub“ gibt es nicht, kann es nicht geben. Wie sollte etwas Nichtphysisches geraubt werden können? Rauben kann man nur Physisches, also den Besitz. Besitz muss daher verteidigt werden, wenn man ihn nutzen will, Eigentum dagegen nicht. Ein Räuber „besetzt“ nur die Sache. Das Eigentum an der Sache bleibt beim Beraubten – solange ihm die Gewähr, es nutzen zu dürfen, nicht entzogen wird.
In einer entwickelten Gesellschaft hat der Tausch (Kauf) diese beiden Komponenten: die physische des Besitzwechsels und die nichtphysische der Eigentumsübertragung. Am deutlichsten kommt das beim Grundstückserwerb zum Ausdruck: das physische Besetzen einerseits und der Akt beim Notar andererseits – als symbolische Vergegenständlichung eines nicht-(meta-)physischen Geistesaktes in Form eines schriftlichen Dokuments.
Die Eigentumsübertragung beim Tausch ist im Kern ebenso eine Gewährung wie die ursprüngliche, welche die Allmende zu Eigentum macht. Sie ist gleichfalls kein physischer Akt wie die Inbesitznahme oder der Besitzerwechsel. Sie ist rein geistiger, also meta-physischer Natur. Deshalb kann sie nur symbolisch – in Form der Ausstellung eines Dokuments (Vertrag, Testament, Grundbucheintrag) – physisch erscheinen. Dieser Umstand schlägt sich nieder in den beiden Thesen:
Besitz entsteht durch Besetzung (z. B. durch Raub); Eigentum entsteht durch Schenkung (z. B. Vererbung) oder Vertrag.
Besitz und Eigentum fallen oft, aber nicht immer zusammen. Eigentum kann ohne Besitz und Besitz ohne Eigentum sein. Ein Räuber gelangt zwar in den Besitz einer Sache, aber nicht an deren Eigentum. Ihm steht immer die Macht des Eigentümers und seiner Gewährsleute entgegen, die den Raub rückgängig machen wollen. Eigentümer bleibt nach wie vor der Beraubte. Er kann nach dem Raub sein Eigentum wieder in Besitz nehmen – wenn er über die erforderlichen Machtmittel verfügt.
Aufgrund einer subtilen Untersuchung hat Adolf Reinach (1953) herausgefunden, dass der Begriff „Eigentum“ (nicht dessen Entstehung! s. o.) auf der nicht weiter rückführbaren Kategorie des Gehörens basiert. Die unmittelbarste Form des Gehörens ist das Gehören des Leibes zum Ich, das Leibeigentum. So wie das Leibeigentum ist auch jedes andere Eigentum das Gehören einer Sache zum Ich. Es ist quasi die Verlängerung des Leibeigentums. Wir sprechen deshalb auch vom „An-Eignen“. Mit dem (gewährten) Besitz von nichtleiblichen Sachen wird der (eigene) Leib gewissermaßen über seine natürlichen Grenzen hinaus erweitert (Rainer Kirchdörfer u. a., 2018). Die Aneignung ist aber kein bloßes Hingreifen und Vereinnahmen. Es geschieht immer auch durch eine Aktion Anderer – in Form der Gewährung.
Besitz ist gewissermaßen naturgewachsen: aus dem physischen Vorgang des Besetzens einer Sache durch eine Person. Im Unterschied zum Gehören spricht man beim Besitz als von einer Habe. Ich „habe“ etwas, d. h. ich habe eine Sache physisch-real in meiner Gewalt, ohne Rücksicht darauf, ob sie mir auch gehört. Erst durch einen gesellschaftlichen Akt (das Gewähren) gehört der Besitz mir und wird zu echtem Eigentum.
Eine Sache, die ich habe, kann mir natürlich auch gehören. Aber bei Habe und Gehören handelt es sich um zwei unterschiedliche Relationen zwischen Ich und Sache. Die fallen oft zusammen, sind zuweilen aber auch voneinander getrennt. Sachen gehören nicht immer jemandem, z. B. die Luft, die zwar eine Sache ist, aber niemandes Eigentum. Sie gelangt aber in den Besitz eines jeden, der sie einatmet.
Dafür, dass das Eigentum im Besitz des Eigentümers bleibt, ist – wie oben schon angedeutet – eine weitere Voraussetzung erforderlich: die Fremdnutzung muss ausgeschlossen werden können, m. a. W. das Eigentum muss geschützt sein. Aber eigentlich ist es nicht das Eigentum, das geschützt werden muss, sondern der Besitz, also dessen physische Komponente. Das bedeutet: Fremdnutzungsausschluss beim eigenen Besitz (justizielles „Diskriminierungsprinzip“; Hans-Hermann Hoppe, 2012).
Der Fremdnutzungsausschluss beim Eigentum muss gesichert sein, und zwar gegenüber jedermann. Dafür muss ein Robinson notfalls zu den Waffen greifen. Zunächst zu seinen eigenen, und wenn das nicht reicht, zu den Waffen eines „starken Freundes“ – sofern ein solcher vorhanden. Der hält die Anderen von seinem Besitz fern, in der Regel mittels Androhung oder Einsatz von Gewalt. Der „starke Freund“ kann allerdings schnell zum Feind werden und die Robinson-Insel für sich selbst beanspruchen. Mit dieser Möglichkeit und ihren Folgen beschäftigen wir uns später.
Sein Eigentum besitzt nur, wer die Nutzung von Sachen, also ihr Besetzen durch Andere verhindern kann. Es muss garantiert sein, dass der Eigentümer das ihm Gewährte auch besetzt halten und folglich nutzen kann. Ist das nicht möglich, dann ist sein Besitz dem Raub oder der Fremdbesetzung ausgeliefert.
Der Rechtscharakter des Eigentums beruht also erstens auf dem Gewähren. Hinter dem Eigentum muss zweitens der Wille stehen, es zu verteidigen bzw. verteidigen zu lassen. Andere müssen von dessen Nutzung ferngehalten werden können. Eigenes Gut ist nicht nur Ergebnis einer Gewährung, sondern – qua Besitz – auch Ergebnis eines machtbasierten Schutzes.
Die oben gegebene Definition des Eigentums scheint so etwas wie „geistiges Eigentum“ nicht zu umfassen. Um beim „geistigen Eigentum“ entscheiden zu können, ob es wirklich als Eigentum zu werten sei oder nicht, ist folgende Überlegung nützlich (vergl. dazu auch Stephan Kinsella, 2008): Die oben gegebene Eigentumsdefinition bezieht Eigentum auf ein sachbezogenes Nutzungsrecht. Nun ist etwas Geistiges keine Sache. Es kann aber auf dem Wege eines Fallouts Sach-Charakter erhalten, z. B. als Werkplan, als Manuskript, als Bild oder als Notenblatt, also als ein Etwas auf einem Trägermedium. Erst durch Veränderung eines bereits als Eigentum vorhandenem Trägermediums (Papier; Leinwand, EDV-Anlage) gewinnt das vorher rein Geistige seine Gegenständlichkeit. Das ist dann zwar nur eine symbolische. Aber als Symbol (als Schriftzug oder als Zeichnung) auf einem Trägermedium ist das Geistige physisch präsent. Als Niederschlag auf einem physischen Etwas, das bereits Eigentum war, ist es nun ebenfalls Eigentum.
Jeder Plan, jedes Manuskript, jedes Notenheft ist zwar eine geistige Schöpfung. Aber die Schöpfung muss materialisiert vorliegen, bevor sie zur Basis von Eigentum werden kann. Vorher ist auch ein Gewähren durch Weiterreichen (Schenkung oder Vertrag) nicht möglich. Nur infolge ihrer Materialität sind der Konstruktionsplan, das Manuskript und das Notenblatt in den allgemeinen Rechtsverkehr einzubeziehen. Sie sind das nicht als reines Geistesprodukt, sondern erst als Gegenstand, auch wenn die Vergegen-ständlichung nur in symbolischer – und gar in elektronischer (!) – Form erfolgt. Die Rede vom „geistigen Eigentum“ in Bezug auf solche (wenn zwar nur symbolisch objektivierte) Dinge ist deshalb irreführend. Treffender redete man ganz konkret vom Eigentum an einem Plan, an einem Manuskript oder an einem Notenheft. Das rein Geistige ist hier auf Eigentum gelangt, das bereits vorhanden war (Papier, Elektronik). Es hat dieses nur verändert („abusus“; s. o.).
Als der konzessionierte Verleger des „Werther“-Romans sich beim Autor darüber beklagte, dass ihm durch den mannigfachen Nachdruck des Werkes durch andere Verleger Geschäft entging, tat Johann Wolfgang von Goethe – in seiner Rolle als Jurist – genau das Richtige, als er den nichtkonzessionierten Nachdruck seines Manuskripts verbieten ließ. Denn dieses war seinem Verleger über einen Gewährsakt als Eigentum zugewachsen. Im Wege eines Vertrags hatte Goethe sein Eigentum an ihn weitergereicht. Im Eigentum ruht nämlich auch das Übertragungsrecht („usus venditio“; s. o.). Der Verleger hatte von da an unanzweifelbar das Eigentumsrecht am Goethe-Text. Kein Anderer, nur er, hatte dieses Recht („Diskriminisierungsprinzip“; s. o.). Solches Recht beinhaltet auch das Potential, den Text weiter zu verarbeiten („abusus“), z. B. ihn zu vervielfältigen.
Im Grunde geht es beim sogenannten geistigen Eigentum um das copyright, d. h. um das Verarbeiten und Vervielfältigen eines Konstruktionsplans, eines Manuskripts, eines Notenblatts zu Maschinen, Büchern und Tonträgern. Eigentümer ist dabei stets der Inhaber des Plans, des Manuskripts, des Notenblatts, den er vom Schöpfer gekauft oder geschenkt bekommen hat. Schon die Schöpfer dieser Dinge können sich erst dann Eigentümer nennen, nachdem sie aus ihrem Geistesblitz etwas Gegenständliches gemacht haben: einen Plan, ein Manuskript, ein Notenblatt. Dabei geschieht – wie ich oben schon andeutete – eine Veränderung auf bereits vorhandenem Eigentum: einem Blatt Papier oder einer EDV-Anlage. „Geistiges Eigentum“ im eigentlichen Sinne gibt es also nicht. Aber es gibt Eigentum am materiellen Niederschlag des Geistes – auch wenn dieser nur symbolische Gestalt angenommen hat – als Plan, Manuskript, Bild oder Notenblatt.
Um die Legitimität heutiger Eigentumsverhältnisse zu belegen bzw. anzuzweifeln, stellt manch einer riskante Überlegungen an. Dabei wird der Umstand außer Acht gelassen, dass jeder von uns, der z. B. etwas geerbt hat, Millionen und Abermillionen an Vorfahren hat, die entweder Erbeuter oder Erarbeiter waren. Die pauschale Behauptung des Jacques-Pierre Brissot „Eigentum ist Diebstahl“, die später von Pierre-Joseph Proudhon übernommen, dann aber relativiert wurde (Nachdruck 2010), ist abwegig. Schon auf das Leibeigentum trifft dies nicht zu. Denn der Leib entsteht durch Schenkung. Die Geburt und das Aufziehen eines Kindes ist – qua Schenkung – eine besondere Form der Gewährung. Eigentum entsteht aber nicht nur durch Schenkung (Vererbung), sondern vor allem auch durch Verträge, der heutzutage wichtigsten Form der Eigentumsentstehung (das gegenseitige Gewähren).
Über die historische Entstehung von Eigentum zu spekulieren, es z. B. dem Handeln von Dieben zuzuschreiben, ist genauso müßig, wie über die Entstehung der Welt. Keiner ist als Beobachter dabei gewesen. Jeder kann nur vermuten. Vermutungen aufgrund von Indizien sind erlaubt. Nur muss man sie dann auch Vermutung nennen. Und man sollte vor allem wissen, wo man solche sinnvollerweise anstellt. Brissots (Proudhons) Aussage ist keine Vermutung, sondern eine Behauptung – als ob er bei den Abermillionen Eigentumsbildungen und Eigentumsübertragungen der Vergangenheit dabei gewesen wäre. Hätte er einen sensibleren Instinkt für den Unterschied von Besitz und Eigentum gehabt, würde er seine folgenschwere Aussage sicher nicht gemacht haben.
Zitierte Literatur:
Eckardt, Dietrich, Persönlichkeitsbildung in Freiheit – Eine Alternative zum heutigen Bildungsbetrieb, Berlin 2021
Eckardt, Dietrich, Das Recht und seine Verfälschung, Berlin 2021 a
Hobbes, Thomas, Leviathan, Nachdruck Stuttgart 2013
Hoppe, Hans-Hermann, Der Wettbewerb der Gauner – Über das Unwesen der Demokratie und den Ausweg in die Privatrechtsgesellschaft, Berlin 2012
Kant, Immanuel, Werke in sechs Bänden, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1966
Kinsella, N. Stephan, Against Intellectual Property, Auburn 2008
Kirchdörfer, Rainer u. a., Eigentum, Freiburg 2018
Locke, John, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Frankfurt/M. Nachdruck 1977
Proudhon, Pierre-Joseph, Theorie des Eigentums, Nachdruck Kiel 2010
Radbruch, Gustav, Rechtsphilosophie, Stuttgart 1970
Reinach, Adolf, Phänomenologie des Rechts – Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts, München 1953
Rousseau, Jean-Jacques, Vom Gesellschaftsvertrag, Nachdruck Stuttgart 2011Walter, Norbert, Ethik + Effiziens = Marktwirtschaft in: Roland Baader (Hrsg.), Wider die Wohlfahrtsdiktatur, Gräfelfing 1995